Habe die Wolke dort am Himmel nicht die Gestalt eines Kamels, fragt Hamlet den Haushofmeister Polonius, und der beeilt sich, ihm das zu bestätigen. Oder die eines Wiesels, gar eines Walfischs? Wolken, so Shakespeare in dieser Szene, können dem menschlichen Auge alles sein und sind es doch meist nur in der jeweiligen Sicht des Subjekts. Sie sind wandelbar, stets in Bewegung und scheinen doch formal greifbar, um sich im nächsten Moment wieder zu verwandeln – Symbole des wechselvollen Lebens, des unbestimmbaren Schicksals. Barbara Regina Renftle, die Kuratorin der Biberacher Stiftung S BC – pro arte hat in einem fulminanten Essay das Wolkenhafte ergründet und in der Kunstgeschichte nachgespürt, wie Wolken mal dokumentarisch, mal atmosphärisch, mal symbolisch eingesetzt wurden. Ihre Ausstellung in der Stiftung zeigt künstlerische Wolken aus unserer Gegenwart: „bewölkt“.
Bettina Bürkle, Klaus Illi, Wolkenatem, 2014/2020 © 2020 VG Bild Kunst, Bonn
Der Himmel hängt voller Wolken, jedenfalls wenn man sich der Installation von Bettina Bürkle und Klaus Illi nähert. Da blähen sich weiße Wolkenkissen langsam und unregelmäßig auf und fallen in sich zusammen – ein künstlerisches Symbolspiel für die Wechselhaftigkeit und Unbeständigkeit des Phänomens Wolke. Aber es sind doch eindeutig künstliche Wolken, Artefakte, von Menschenhand gemacht, und sie unterscheiden sich von denen der Natur in einem zweiten Punkt. Die Veränderungen der Wolkenkissen werden von uns Menschen ausgelöst, den Bewegungen der Ausstellungsbesucher. Diesen Einfluss auf das Wolkengeschehen haben wir Normalsterblichen im Alltag nicht.
Natürlich dominieren in der Kunst künstliche Wolkengebilde. Was Bürkle und Illi mit luftgefüllten Stoffkissen zuwege bringen, hat Ulrike Markus aus unendlich langen schmalen weißen Papierstreifen konstruiert, die ineinander verwoben und verknotet wie riesige Wolkengebilde von der Decke hängen. Auch hier ein künstlerisches Widerspiel von scheinbar solider Form und der Anmutung ständiger Veränderbarkeit.
Das gilt sogar für das vom Material her solideste Wolkengebilde in der Ausstellung: Werner Mally hat den berühmten Jacobsen-Stuhl von 1955 in eine Endlosschleife zersägt und lässt die schmalen Holzstreifen ätherisch durch die Luft baumeln. Das ist keine Wolkennachbildung mehr, sondern ein Spiel mit dem Phänomen Wolke: scheinbar solide, aber in ständiger Verwandlung…
falls man bei Wolken eben überhaupt von Form reden kann. Bei dem Gewölk, das Daniel Sigloch zaubert, meint man gelegentlich, die Himmelsvisionen eines William Turner vor sich zu haben, bei dem der Himmel ja selten klar blau ist, sondern meist wolkig, von tiefdunkelgrau bis golden, je nach Licht. Das Gewölk von Sigloch jedoch besteht in Wirklichkeit aus Landschaftselementen. Hunderte Male fotografiert er nacheinander eine Szenerie, legt die Fotos im Computer dann übereinander und hat jeden Eindruck von gegenständlicher Welt eliminiert. Sie hat sich aufgelöst in Farberscheinungen, denn was sind Wolken etwa in der Abenddämmerung anderes?
Christine Schön, Ohne Titel, 2017 © 2020 VG Bild Kunst, Bonn
Auch die Wolkenbilder von Christine Schön changieren zwischen dem Eindruck realer Himmelswolken und künstlicher Malerei. Beides trifft in gewisser Hinsicht zu. Bei ihren kreisrunden Bildern meint man tatsächlich, in den Himmel zu blicken, es ist freilich ein Himmel der besonderen Art, wie man ihn auf Deckengemälden in barocken Kirchen oder Schlössern findet. Ob in gelblich-ockerfarbenen Tönen oder – fast schon realistisch – in gräulich-bläulichen: Man meint, auch wenn die Bilder vor einem an der Wand hängen, der Blick steige bewundernd nach oben. Dabei ahmen diese Bilder kein einziges reales barockes Deckengemälde nach, es sind eigene Nachempfindungen der Künstlerin.
Hartmut Hahn, What about clouds, 2017
Bei den Wolkenbildern von Hartmut Hahn dagegen ist man auf den ersten Blick ziemlich sicher, dass es sich um Fotografien von echten Wolken handelt. Es sind aber täuschend echt gemalte Farbimpressionen in Öl auf Leinwand. Es sind Wolken, also formal durchaus definierte Gebilde, und doch sind es nichts als abstrakte Farbimpressionen.
Jochen Pankrath, Die Entdeckung IV, 2018
Dieses Phänomen hat Jochen Pankrath raffiniert in Bilder gefasst. Auf einem gegenständlichen Gemälde zieht ein Ozeandampfer seine Bahn über das Meer. Aus seinem Schlot dringen Dampfwolken, die gen Himmel steigen, dort eine Wolkenstruktur erzeugen – und doch reine ungegenständliche Farbmalerei sind. Denn das, so konstatiert Barbara Regina Renftle in ihrem Essay auch, sind Wolken letztlich: Malereien am Himmel. Fragt sich nur, wer da malt?
„bewölkt. Der Himmel in der Kunst. Vom Goldgrund zum Wolkenberg“. Galerie der Stiftung S BC – pro arte, Biberach, bis 20.11.2020. Katalog 99 Seiten, 8 Euro, auch nach Ende der Ausstellung in der Stiftung erhältlich.