„Venusfalle“ ist der Titel eines Films von Robert van Ackeren aus dem Jahr 1988. Darin verliebt sich ein Mann unsterblich in die Stimme einer Frau am Telefon – nicht in das Aussehen einer Frau also oder gar deren Persönlichkeit, sondern nur in die Stimme. Das Schauwerk in Sindelfingen zeigt nun eine Ausstellung mit demselben Titel: Sie will zeigen, was für ein Frauenbild Künstler von heute von der Frau haben.
Russell Young, Marily Crying /(Dyptich White + Suicide Pink), 2011.© Russell Young, Marilyn Monroe™, Rights of Publicity and Persona Rights: The Estate of Marilyn Monroe, LLC
Als erstes fällt der Blick auf das Gesicht von Marilyn Monroe – für viele vermutlich das Sexsymbol des 20. Jahrhunderts schlechthin. Ein besseres Entree zu dieser Ausstellung hätte man kaum wählen können, denn in diesem Bild ist alles da, was auf Männer reizvoll wirken kann – und ja auch gewirkt hat: die blonde, fein ondulierte Mähne, der rote Schmollmund. Aber zu sehen ist nicht das berühmte Porträt, das Andy Warhol von der Sexgöttin geschaffen hat, zu sehen ist ein Pressefoto, das Russell Young in kitschigem Pink mit Diamantenstaub auf Leinwand gedruckt hat. Da kommt zum sexuell Aufreizenden noch das Preziöse hinzu, das die Männerherzen schmelzen lässt. Doch damit nicht genug! Das Foto zeigt die Monroe, wie sie das Gerichtsgebäude verlässt, in dem sie kurz zuvor von ihrem Mann geschieden wurde. Den Blick hat sie gesenkt, eine Hand wischt verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel – zumindest soll es so aussehen: Das ist die Pose, mit der Frauen gleichfalls Männerherzen erobern können.
Es verbirgt sich, so bereits die Erkenntnis bei diesem ersten Exponat, viel hinter dem Begriff Venusfalle – reine Schönheit ist es nicht. Sie wird man auch kaum in dieser Ausstellung finden. So fehlt bei vielen Arbeiten das, was auf den ersten Blick schön wirken könnte – das Gesicht. Anselm Kiefer hat auf Frauenkörper statt des Kopfes symbolische Elemente platziert – zur Charakterisierung der Dichterin Sappho verleiht Kiefer dem Torso statt eines Hauptes ein Buch, denn das, so seine subtile Anspielung, dürfte das wesentlichste Faszinosum sein, das diese Gestalt der Antike auf uns heute ausüben kann.
Um in der Antike zu bleiben: Die Schönheitsidole von einst haben auch heute nicht ihre Wirkung verloren. Jim Dine ließ sich von der Venus von Milo inspirieren – einem geradezu überzeitlichen Schönheitsideal.
Jim Dine, Venus In The Chair, 1991 Foto: Frank Kleinbach© VG Bild-Kunst, Bonn 2015
Seine Venus aber besteht nur aus dem Torso, ohne Kopf – man könnte auch sagen: Sie ist reiner Sex – auch das, so deutet Dine an, kann das Wesen der „Venusfalle“ sein – und das wiederum lässt Rückschlüsse auf das männliche Denken zu, denn wenn man im Fall der Pose einer Monroe durchaus der Frau einen „Vorwurf“ bewusster Manipulation des männlichen Denkens machen kann, gilt dies im Fall des Torsos naturgemäß nicht. Hier liegt die „Venusfalle“ einzig im Kopf des Mannes, der die Frau auf das Körperliche reduziert. Die Exponate dieser Ausstellung geben allenthalben zu denken. Denn natürlich kann auch das rein Körperliche Teil der Venusfalle sein. Und der Sexappeal muss nicht im Schmollmund einer Monroe liegen, er kann sich ganz auf den Körper beschränken. So sehen wir eine Serie von Arbeiten, in denen die Frauenreize ausschließlich auf mondäne Abendkleider reduziert sind – die Köpfe, ja sogar die Körper fehlen. Das sind nicht Individuen wie die Monroe, das ist die Frau reduziert auf eine Rolle und Funktion und auch eine Projektion aus dem Blick von Männern. Und es ist zugleich ein sarkastischer Kommentar zu unserer heutigen Gesellschaft, die sich gelegentlich mit dem rein Äußerlichen mehr abzugeben scheint als mit Inhalten.
Dieser Prozess der Entindividualisierung ist beileibe nicht abgeschlossen – zumal in einer Mediengesellschaft, in der selbst Vips austauschbar geworden sind. So darf natürlich auch Sante d’Orazio nicht fehlen, der Fotograf, der vielen als legitimer Erbe eines Helmut Newton gilt. Er ist mit Fotos vertreten, auf denen sich berühmte Models unserer Tage wie Kate Moss in verführerischen Posen darbieten. Das Echte, das Unverfälschte, das Individuelle, so scheint es, braucht die Venusfalle nicht. Viel wichtiger scheint die Rolle – und so verwundert es nicht, wenn man am Ende dieses erotischen Parcours einer Fotoserie begegnet, auf der der Fotograf sich ganz mit der Frau identifiziert, sich schminkt wie eine Frau, sich in Pose wirft wie eine Frau, die es darauf anlegt, Männer in die Falle zu locken. Es ist nicht einmal das Geschlecht nötig – der Schein, die Show sind offenbar genügend Speck in der Venusfalle.
Die Ausstellung „Venusfalle“ im Schauwerk in Sindelfingen, Eschenbrünnlestraße 15/1, zu sehen bis 29.5.2016. Geöffnet Samstag und Sonntag 11-17 Uhr sowie Dienstag und Donnerstag 15.00 bis 16.30 (nur im Rahmen einer öffentlichen Führung).
Wieder ein echter Rainer Zerbst, wie man ihn vom Funk kennt: sachkundig, treffsicher in den Formulierungen und Appetit anregend, d.h. man bereut es, selbst nicht dort gewesen zu sein oder macht sich umgehend auf den Weg ……
Danke Rainer Zerbst!