Liebe in der Pubertät: Donizettis Liebestrank bei der Opera Zuid, Maastricht

Die Opera Zuid in Maastricht ist streng genommen keine Oper, macht aber Oper. Ein eigenes Haus gibt es nicht. Die Gesellschaft verteilt sich auf vier Standorte, die Büros befinden sich in einem anderen Stadtviertel als das Kostümatelier, die Requisiten lagern wieder woanders, und geprobt wird in der Malpertuiskerk. Die Aufführungen finden an verschiedenen Orten statt, aber eines zieht sich wie ein roter Faden durch die Arbeit: Die Künstler sind allesamt jung – und voller Spieldrang, wie die neueste Produktion beweist: Donizettis Liebestrank.

José Romero (Nemorino), Julietta Aleksanyan (Adina) © Bjorn Frins

Dieses Szenenbild spricht Bände: Nemorino ist unsterblich in Adina verliebt, doch die junge, kapriziöse, reiche Dame will nichts von ihm wissen, hat eher Augen für den großspurigen Belcore. Regisseur Marcos Darbyshire hat das Personal stark verjüngt. Adina ist hier noch eine Schülerin, die sich nach dem Unterricht mit ihren Kameraden trifft, die Zeit vertreibt und dabei auch vor Drogen nicht zurückschreckt. Nemorino ist ihr gerade recht, wenn er ihr bei den Hausaufgaben helfen kann, wie während der Ouvertüre angedeutet wird, doch kaum treffen ihre Schulfreunde ein, die der Kleidung nach zu urteilen auf eine teure Privatschule gehen, Schulkrawatten tragen und sich selbstsicher bewegen, wird er missachtet, ja sogar gemobbt, man steckt ihn in Frauenkleider und setzt ihm eine rosa Badekappe auf den Kopf.

Bibi Ortjens (Giannetta), Sam Carl (Dulcamara) © Bjorn Frins

Die Produktion entstand in Zusammenarbeit mit der Nederlandse Reisopera, wird also durch die Lande touren, daher beschränkt sich das Bühnenbild auf einen einzigen Raum; Darbyshire ließ sich von Amber Vandenhoeck ein schlichtes Wohnzimmer mit kleiner Bar bauen. Hier versammeln sich alle Beteiligten. Auf diese Weise bekommen alle im Raum alles mit, Darbyshire kann also auf die Chorszenen völlig und auf die Ensembles zum großen Teil verzichten, denn in ihnen werden die Fakten vermittelt, die man zum Verständnis der Handlung braucht und die sich an unterschiedlichen Schauplätzen ereignen. Das ist für seine Produktion zentral: So reicht der Blick einer Figur aufs Handy, und die Nachricht vom Tod von Nemorinos Oheim und dem daraus folgenden Erbe hat sich in Windeseile verbreitet. Adina bekommt in diesem Raum persönlich mit, wie sich Nemorino bei der Armee verdingt, um von dem Sold das Geld für den vermeintlichen Liebestrank zu erhalten.

Zwar sind gerade diese Ensembles musikalisch glänzend komponiert und voller Spielwitz, aber nur wer die Oper gut kennt, wird nicht einmal merken, dass etwas fehlt. Eine der größten Leistungen dieser Inszenierung besteht in der dramaturgischen Straffung. Sie kommt mit rund neunzig Minuten aus, wirkt dadurch ungemein temporeich und witzig in jeder einzelnen Minute.

Und auch die weiteren Eingriffe in das donizettische Original funktionieren seltsamerweise, obwohl sie gravierend sind. Ob wegen Corona oder weil die Produktion auf Reisen geht und an den unterschiedlichsten Orten aufgeführt werden wird, hat Pedro Beriso in seiner musikalischen Bearbeitung Donizettis Orchester auf eine Art Combo reduziert: Zwei Violinen, eine Viola, ein Cello, Kontrabass, die Bläser sind durchweg solistisch besetzt, dazu als Ergänzung ein Klavier. Damit ist natürlich nicht Donizettis Klangreiz zu erzielen, aber gerade die solistische Besetzung lässt den Witz der Partitur deutlich hervortreten, zumal Enrico Delamboye durch die kleine Besetzung das Tempo straffen konnte und den Verlust an Klangraffinesse durch Elan und Temperament ersetzte.

Martin Mkizhe (Belcoro), José Romero (Nemorino) © Bjorn Frins

So ist eine ganz neue, spritzige Version entstanden, die dank zweier grandioser Sänger für Donizettiglück sorgt. Julietta Aleksanyan brilliert als Adina mit keckem Ausdruck, leichter Höhe und brillanten Koloraturen, und José Romero bringt für Nemorino die ideale Stimme mit lyrischem Tenor, Schmelz und Gelenkigkeit mit. Martin Mkhize hat für den Frauenhelden eine fast zu schöne Stimme, sein warmer Bassbariton ist geradezu betörend, doch kann er die Rolle mimisch adäquat auf die Bühne bringen, was umso erstaunlicher ist, als die Inszenierung ja ohne übliche Kostüme auskommt, alle tragen Alltagskleidung heutiger wohlbetuchter Jugendlicher. Sam Carls Dulcamara reicht stimmlich an das genannte Trio nicht heran, überwältigt aber durch schauspielerischen Witz.

 

Das ist trotz der Sängerleistungen natürlich nichts für Donizettifans und Opernpuristen, aber gerade für ein junges Publikum könnte es die ideale Hinführung zur Kunstgattung Oper sein. Insofern ist es vielleicht sogar gut, dass die Produktion wegen Corona derzeit nur im Internet als Stream anzusehen ist, und man hat hierfür eine perfekte Kameraführung entwickelt. Das Ganze wirkt wie ein Fernsehspiel im Zimmer einer reichen Tochter. Die Kamera rückt den Beteiligten oft dicht auf den Leib, man hat nicht den Eindruck, einer Bühnenproduktion beizuwohnen, zumal das Orchester nicht zu sehen ist, die Musik aus dem Off zu kommen scheint.

 

Als Stream verfügbar bis 23.8.2021 12 Uhr

https://operazuid.nl/events/lelisir-damore/

 

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