Lichtkunst zwischen Sein und Nichtsein: Laurenz Theinert im Museum Ritter in Waldenbuch

Die im Dunkeln sehe man nicht, dichtete Bertolt Brecht in seiner „Dreigroschenoper“ und meinte das sozialkritisch. Doch gilt dieser Satz ganz allgemein für das menschliche Leben. Ohne Licht keine sichtbare Welt – abgesehen davon, dass ohne das wärmende Licht Existenz auf dieser Erde für uns unmöglich wäre. Eine Ausstellung mit Arbeiten von Laurenz Theinert im Museum Ritter in Waldenbuch zeigt, wie wichtig dieses Phänomen Licht für unsere Wahrnehmung ist und was für eine Zaubermacht ihm innewohnt: „Fehlende Dunkelheit“.

Laurenz Theinert, Gespinst, 2008/24 © Künstler, Foto: U. Schäfer-Zerbst

Wäre Laurenz Theinert Bildhauer oder Installationskünstler, dann wäre das, was er derzeit im Museum Ritter in Waldenbuch zeigt, optisch attraktiv, aber keineswegs künstlerisch herausragend. In einer Ecke hat er straff Schnüre kreuz und quer gespannt, in einer anderen liegt auf dem Boden eine samtschwarze runde Platte mit kleinen reflektierenden Plastikschnitzeln, in wieder einer anderen hat er aus weiß glänzenden Quadern eine Architektur aufgebaut.

Doch Theinerts eigentliches „Material“ besteht nicht aus Drähten und Kunststoffplatten – Theinert arbeitet mit Licht, und da erhalten die soeben beschriebenen Dinge eine ganz andere Qualität.

Die Schnüre, die er in einer Ecke gespannt hat, bestehen aus lumineszierendem Material, sie entwickeln ihre eigentliche Potenz erst im Zusammenhang mit Licht, und da verwandelt sich die Ecke plötzlich in eine geradezu magische Installation aus hell strahlenden Linien, die frei im Raum zu schweben scheinen – Linien, die freilich nicht konstant im Raum stehen, sondern je nach Beleuchtung immer nur kurz aufblitzen. Die Folge: Das Auge versucht, die Linien zu definieren: Welche verläuft weiter hinten, welche lagert über allen vorn. Mehr noch. Man ist versucht, in dem unterschiedlichen Aufblitzen der einzelnen Linienteile ein System zu erkennen – und wird enttäuscht – es gibt kein System, die einzelnen Drahtteile blitzen geradezu willkürlich auf; der für uns oft so wichtige Ordnungssinn wird unterlaufen. Und schon ist Theinerts Arbeit nicht einfach nur ein Faszinosum der Optik, sondern ein fast philosophischer Beitrag zur Natur des menschlichen Sehens.

Zu diesem Sehen gehört, das spürt manwenn man sich mit seinen Arbeiten befasst, immer wieder fast durchweg die Bewegung. Über der schwarzen Platte am Boden mit den Plastikschnipseln, die man zunächst kaum sieht, befindet sich eine einzelne Lichtquelle. Sie lässt die Plastikschnipsel aufleuchten, und wenn man sich vor dieser Arbeit bewegt – und es reichen schon wenige Millimeter –, dann beginnt die so harmlos schwarz wirkende runde Scheibe plötzlich an zu funkeln, mutiert fast zu einem nächtlichen Sternenhimmel.

Und auch die aufblitzenden Schnüre in der Ecke verändern ihre Gestalt, ihr Zusammenwirken zu einem „Gespinst“, so der Titel der Arbeit, wenn man sich davor bewegt. Was statisch wirkte, entpuppt sich als in hohem Maße „lebendig“.

Laurenz Theinert, The Awakening, 2020 © Künstler, Foto: Laurenz Theinert

Bewegung gehört zu allen diesen Lichtarbeiten von Theinert in dieser Ausstellung. Manchmal übernimmt diesen Part das Licht selbst. Der Aufbau aus weiß beschichteten Quadern, auf den ersten Blick die Bastelarbeit eines Heimwerkers, wird von langsam sich auf und ab bewegenden Lichtschwaden erhellt – und wieder ins Dunkel geschickt. Und siehe da: der statische Aufbau aus weißen Quadern wird zum Leben erweckt. Das Licht verwandelt die harmlosen Quader zu Bauteilen einer Architektur, die der Betrachter vor seinem geistigen Auge weiterspinnen kann – zu Raumgebilden, Gebäudeformen.

Licht im Verein mit Bewegung, so die Erkenntnis, macht die optische Seite unseres Lebens aus. Auch wenn man die Bewegung manchmal den Arbeiten gar nicht ansieht. So hat Theinert an einer Wand 36 unterschiedlich große und unterschiedlich geformte schwarze Vierecke platziert – sorgfältig sortiert von groß in den oberen Reihen zu klein in den unteren. Zu sehen ist nichts – und doch handelt es sich hierbei um die vielleicht konkreteste Arbeit der ganzen Ausstellung. Theinert deutet das auch im Titel an: Lehmden 1994/1. Gemeint ist eine alte Scheune in Lehmden, einem Dörfchen in Niedersachsen. 36 mal hat er ein Fenster dieser Scheune fotografiert, aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven – auch hier die unvermeidliche Bewegung. Für seine Präsentation hat er dann von allen 36 Fotos alles weggeschnitten, was um die Fensterscheibe zu sehen war – Fensterrahmen, Mauerteile. Übrig blieb das Dunkel, das der Blick in die Scheune bot. Da er aber dieses Fenster aus 36 verschiedenen Perspektiven aufgenommen hat, veränderte sich die Form dieses so entstandenen fotografischen „Motivs“: es ist mal rechteckig, mal verzerrt zu einer Raute, mal größer, mal kleiner. Als Installation an eine Wand platziert ergibt sich daraus eine ganz neue Dimension: Vom eigentlichen Motiv ist nichts geblieben, die Arbeit reiht sich eher ein in die Tradition der abstrakten Kunst des 20. Jahrhunderts bis zurück zum berühmten schwarzen Quadrat eines Kasimir Malewitsch.

Fotografisch vom Sujet her betrachtet ist das „Motiv“ letztlich ein Nichts – ähnlich wie die Lumineszenzschnüre in der Ecke oder die schwarze Platte mit den reflektierenden Plastikschnitzeln oder die weißen Quader, die erst durch das Licht zum Leben erweckt werden.

Laurenz Theinert, Ephemere Formen II 2020 © Künstler, Foto: Laurenz Theinert

Dass Theinert nicht einmal „Hilfsmittel“ wie das Fenster in der Scheune von Lehmden, weiße Quader oder Schnüre in einer Ecke benötigt, um Welten erstehen zu lassen, zeigt eine Arbeit, die motivisch um das Quadrat kreist, ein Quadrat, das es nur durch eine Lichtprojektion gibt. Und dieses Quadrat befindet sich gewissermaßen in einem ständigen Kampf mit seiner Auflösung ins Nebulöse – es ist gewissermaßen ein Spiel mit unserer Wahrnehmung, bei der wir das Quadrat mit scharf umrissenen Kanten im Zentrum unseres Blickfeldes wahrnehmen, den Rest in der Peripherie unseres Sehfeldes unscharf, verwaschen, nebulös – aber dennoch vorhanden.

Es sind Arbeiten, die zeigen, wie wenig für uns die Welt, in der wir leben, ohne Licht erkennbar wäre, wie viel wir mit unserem Sehen in dieser Umgebung machen – und wie flüchtig selbst so klare „Dinge“ wie Quadrate oder Linien sein können, denn alles, was wir sehen, wäre ohne Licht nicht denkbar, Licht ist ein Phänomen, das wir brauchen, das uns im Alltag aber dennoch nicht greifbar, erklärlich ist. Licht ist ein Phänomen – und damit auch unser Sehen dessen, was wir für Welt um uns herum halten.

Laurenz Theinert, ‚Fehlende Dunkelheit‘“, Museum Ritter, Waldenbuch bis 15.9.2024

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