Es gibt nur wenige englische Wörter, deren Übersetzungsmöglichkeiten so vielfältig sind, auch wenn das Bedeutungsspektrum relativ eng ist, wie das Wort power. Es ist die Kraft und damit auch die Energie, im physikalischen Sinn ebenso wie im biologischen und persönlichen. Es ist Fähigkeit und Leistung, ist Stärke, Macht und Befugnis, Strom und Elektrizität oder ganz allgemein Antriebskraft. Kein Wunder, dass es das Wort auch in die deutsche Sprache geschafft hat: Wenn eine Sache „power“ hat, dann sie es „in sich“. Eine Ausstellung in der Städtischen Galerie Villingen-Schwenningen zeigt nun, was Künstler mit der Power schaffen.
Gleich mehrere dieser Ausdrucksmöglichkeiten bündelt die Arbeit, die den Besucher zu Beginn empfängt. Mit siegesgewiss nach vorn gestreckter Faust rast er durch das All auf uns zu: Superman, als sei sein Körper von einer Rakete angetrieben zur Rettung der Menschheit. So kennen wir ihn vom Comic und von der Kinoleinwand. Doch dieser Held ist unter der Hand von Torsten Mühlbach nicht unbedingt ein Symbol des unbesiegbaren Optimismus, was ja auch eher in das Reich der Legende gehört und mit der Realität wenig zu tun hat, und so gibt Mühlbachs Held denn auch ein zwiespältiges Bild ab. Mühlbach hat das Bild aus Plastiktüten gebastelt, inzwischen längst Symbol der Umweltzerstörung, des Todes vieler Meerestiere, und an die Stelle des strahlenden Heldenkopfes ist bei ihm ein Totenschädel getreten: Superdeath heißt die Arbeit bezeichnenderweise. Und in derselben Nische in dieser Ausstellung findet sich noch eine weitere Relativierung des symbolischen Sieges über das Böse: Peter Sauerer hat eine Mondsichelmadonna gestaltet, nennt sie auch Patrona Bavariae, doch zur Schutzgöttin eignet sich diese Madonna kaum, sie ist notdürftig mit Fäden zusammengehalten. Rettende Kraft wird sie wohl kaum ausüben. Allerdings gibt es auch die Kraft und Energie, die Religion und Glaube spenden können, wie ein Betendes Mädchen von Käthe Kollwitz zeigt.
Wenn Hilfe nicht mehr aus Symbolen der Kraft zu erwarten ist, dann möglicherweise aus Symbolen der Energie wie etwa der Kerze? Sie spendet Licht und Wärme – allerdings um den Preis der Vergänglichkeit, sie brennt ab, es sei denn, man gestaltet sie aus Neonröhren wie Gavin Turk. Diese Kerze scheint für die Ewigkeit gemacht, bedarf allerdings des Stroms. Den freilich, so deutete Joseph Beuys an, könnte die Natur frei Haus liefern. Er schuf eine Capri-Batterie: Eine Glühbirne ist mittels eines Steckers mit einer Zitrone verbunden – die Kraft der Sonne, die in der Frucht steckt, wird an das Leuchtmittel, wie wir heute sagen, weitergereicht. Allerdings muss Beuys eingestehen, dass auch diese Stromquelle erneuert werden müsse, wenn auch erst „nach 1.000 Stunden“.
Diese Nachteile scheint reine Kunst nicht zu haben. Rupprecht Geigers rote Bildflächen strahlen eine derart intensive Energie aus, dass man meint, sie werde ewig andauern, sei naturgegebene Eigenschaft der Farbe selbst. Und Chiharu Shiota hat ein gewaltig wirkendes abstraktes Energiebündel aus roten Pinselstrichen zu Papier gebracht. Das ist Power mit rein malerischen Mitteln.
Power ist auch, wie schon der durch den Weltraum jagende Superhero gezeigt hat, Energie. Diese Energie kann, wie die Zitrone von Joseph Beuys zeigt, in der Natur stecken, in einem Apfel, wie ihn Karin Kneffel hyperrealistisch porträtiert hat – sogar in Übergröße, schließlich kann man von einer solchen natürlichen Kraft nicht genug bekommen. Und um sie sich dauerhaft zu erhalten, muss der Mensch essen. Daniel Spoerri hat auf einem Holztablett witzig festgehalten, was von einer solchen Nahrungsaufnahme übrigbleibt: eine leere Tasse, ein ausgekratztes Butterpapier, ein leeres Marmeladendöschen.
Es gibt viele Formen der Energie. Eine der wichtigsten ist die Lebensenergie. Bedeutend aber ist auch Bewegungsenergie, die antreibt – den Menschen, die Maschinen, freilich mit der Gefahr der Zerstörung. Ernst Ludwig Kirchner hat auf einem Holzschnitt ein Eisenbahnunglück gestaltet, bei dem alles in Trümmern durch den Raum fliegt. Renaud Layrac und Frédéric Pohl haben berühmte Rennstrecken als Linienzeichnungen festgehalten. Passend dazu ein Objekt von Konrad Balder Schäuffelen: eine Motoröldose, allerdings umgestaltet zu einem Buch, einer Art Bibel des Autofetischisten. Ähnlich vielschichtig und unterschiedlich deutbar eine Installation von Stefan Rohrer: Schleudertrauma.
Stefan Rohrer, 9. Schleudertrauma, 2014
Rohrer hat aus Metallteilen von Automobilen und Motorrollern den Inbegriff von Tempo gestaltet. Das kann positiv als unbändige Kraft gedeutet werden kann, negativ aber auch als Ursprung von Zerstörung. Umso erfreulicher, dass Rohrer daneben noch einmal auftaucht, auf einer Fotoarbeit seiner Frau Gabriela Oberkofler. Sie zeigt die beiden als Hochzeitspaar – auch das hat Power, die Macht der Liebe, die Geborgenheit bedeutet, Heimat, Zugehörigkeit. Es ist eine sehr stille Form der Kraft, aber vielleicht die mächtigste. Das stillste Bild in dieser Hinsicht stammt von Emil Nolde und scheint mit Power nichts zu tun zu haben. Im Schaukelstuhl ist sie betitelt, und genau das ist auch zu sehen, ein Schaukelstuhl, vermutlich auf einer Sommerwiese, darauf eine Mutter mit ihrem Kind in ihrem Schoß. Stille, Ruhe, Introvertiertheit strahlt diese Arbeit aus, und doch steckt in ihr mehr Power als in so manchen energiegeladenen Kunstwerken. Es ist eine Power, die ganz ohne Strom auskommt, denn diese Kraft kommt von innen.
„Power. Von den Energien in der Kunst“, Städtische Galerie Villingen-Schwenningen bis 30.8.2020