Mehr als Landschaft erwartet man nicht, wenn man gleich hinter (oder, je nach Richtung, vor) Hausen ob Verena in den asphaltierten Feldweg einbiegt. Links erhebt sich der Bergkegel des Hohenkarpfen, das älteste Naturschutzgebiet Baden-Württembergs, rechts fällt der Hang steil in ein Tal ab. Doch nach der letzten Wegbiegung erblickt man ein altes Gebäude – das Hotel Hofgut Hohenkarpfen, und im Stockwerk unter den Hotelräumen die Kunststiftung Hohenkarpfen. Seit über dreißig Jahren präsentiert sie dort Kunst aus dem deutschen Südwesten. Dass es dazu kommen konnte, verdankt sich gleich mehreren Zufällen.
Kunststiftung Hohenkarpfen, Foto: Horst Simschek
Zum einen war der Pädagogikprofessor Friedemann Maurer damals wieder in sein elterliches Haus im benachbarten Hausen ob Verena gezogen und hatte die Erben des Zeichners Ernst Rieß kennengelernt. Der Gedanke einer lokalen Stiftung war geboren, über hundert Zeichnungen wurden als Schenkung zur Verfügung gestellt, und der Unternehmer Gebhard Ritzi, der damals die Wirtschaftsgebäude des völlig maroden ehemaligen Hofguts zu einem Hotel umbaute, steuerte den Raum dazu bei.
Es sollte ein kleines, lokales Museum sein, einem Künstler gewidmet, das Ernst-Rieß-Stüble. Freilich: daraus wurde nichts, lichtempfindliche Grafik kann man nicht dauerhaft ausstellen. So weitete man den Arbeitsbereich aus. Ziel der Stiftung wurde „die Errichtung und Unterhaltung einer landschaftsbezogenen Kunstsammlung“, wie es im Stiftungskonzept hieß. Gemeint waren Baar, Schwarzwald, Oberer Neckar, Obere Donau und Heuberg. Die Zeichnungen von Ernst Rieß bilden immer noch den Sockel der Sammlung, die die Stiftung unterdessen aufgebaut hat, aber die Namen der Künstler, die sich im Archiv befinden, lesen sich längst wie ein Who’s Who der südwestdeutschen Kunst im 19., vor allem aber 20. Jahrhundert, angeführt von Adolf Hölzel, dem zukunftsweisenden Professor an der Stuttgarter Akademie zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Friedrich von Keller, Im Eisenhammer, 1887
So finden sich Größen der Kunstgeschichte wie Friedrich von Keller, Albert Kappis, Felix Hollenberg, Hans Thoma, Oskar Schlemmer, um nur einige wenige zu nennen. Einen Schwerpunkt bildet die nach Hölzel entstandene Stuttgarter Schule. Einen anderen Schwerpunkt bilden die jungen Künstler, die sich gleich nach dem 2. Weltkrieg um Paul Kälberer, Hans Pfeiffer, Riccarda Gohr und HAP Grieshaber in einer Kunstschule im ehemaligen Kloster Bernstein geschart haben, deren Geschichte die Kunststiftung in mehreren Ausstellungen aufgearbeitet hat. Inzwischen hat sich die Sammlung bis in die Kunst der Gegenwart hinein erweitert.
Reinhold Adt, Theresia Schorpps Dorfladen in Gunningen, 2010, Foto: U.Schäfer-Zerbst
Die Stiftung hat zwar mehr als siebenhundert Mitglieder, darunter Gemeinden und Landkreise, doch die Einnahmen decken gerade einmal den Kunstbetrieb ab. Die Sammlung, die stetig wächst, speist sich aus Leihgaben, Schenkungen, Nachlässen.
Die Ausstellungen spiegeln diese inhaltliche Ausrichtung: Der Obere Neckar in der bildenden Kunst, Landschaftsbilder der letzten beiden Jahrhunderte, Einzelausstellungen mit Werken von bekannten Größen wie Wilhelm Geyer oder Maria Caspar-Filser sowie in Vergessenheit geratenen wie P. Willibrord Jan Verkade.
Und die Kunststiftung sieht sich in der Tradition der Lesegesellschaften des 19. Jahrhunderts, kulturellen Vereinigungen, die ein breites Spektrum an Bildung und Information vermittelten. So veranstaltet sie Atelierbesuche, Lesungen, unter anderem mit Adolf Muschg, Martin Walser oder Arnold Stadler, und, gemeinsam mit der Musikhochschule Trossingen, Konzerte.
Für das breitere Publikum aber sind es vor allem die Ausflüge in die Provinz, wo sich Fuchs und Hase Gutenacht sagen und wo man in diesem Fall auch einkehren kann – in die Welt der Kunst, der geistigen Genüsse, und auch der weltlichen gleich nebenan.
Die aktuelle Ausstellung zeigt Neuzugänge der Sammlung aus den vergangenen fünf Jahren, ergänzt durch Bilder einer Privatsammlung, die sich gleichfalls der südwestdeutschen Landschaftsdarstellung widmet:
„Kunst und Natur. Schwäbische Landschaftsmalerei zwischen Empfindsamkeit und Realismus“, Kunststiftung Hohenkarpfen, Hausen ob Verena, bis 6.11.2022