Die Kunst von Georg Winter findet streng genommen im Kopf statt. Er entwirft Projekte, die im öffentlichen Raum ausgeführt werden können – und oft auch werden. Dass Winter seit 2007 an der Hochschule der Bildenden Künste Saar Plastik und Bildhauerei lehrt, wirkt fast paradox, denn seine Kunst ist temporär, flüchtig. Jetzt ist er mit seiner Studentenklasse Gast in der Städtischen Galerie in Schwenningen, und auch seine Studenten arbeiten in erster Linie mit Projekten. So stand im Vorfeld der Ausstellung denn auch eine Jury, die im Unterschied zu anderen Kunstkommissionen nicht fertige Werke zu begutachten hatte, sondern eben schriftlich beschriebene Projekte, von denen die besten realisiert werden sollten. Doch dabei blieb es nicht.
Konstantin Felker, Zaun (Foto: Felker)
Man fragt sich unwillkürlich, ob man das Gebäude in der Friedrich Ebert Straße unweit vom Bahnhof von Schwenningen, in dem die Städtische Galerie untergebracht ist, überhaupt betreten darf. Es kommen einem Zweifel, ob es sie hier noch gibt, denn das Gelände ist von einem Bretterzaun umgeben, und wenn man die Eingangstür öffnen will, drängt sich der Eindruck auf, man sei seit Monaten der erste, der einen Fuß über die Schwelle gesetzt hat, denn vor der Treppe ist ein schmaler Streifen Gras gewachsen. Diese Arbeit hätte von Georg Winter stammen können, schließlich geht es ihm, wie er sagt, um die „Konzeption und Herstellung von Störungen in Betriebssystemen“, und eine solche Störung ist diese Zaunaktion von Konstantin Felker, denn natürlich kann einer Kunstgalerie nicht daran gelegen sein, potentielles Publikum fernzuhalten, und der Grasstreifen, den Julia Rabusai installiert hat, soll auch nur Zecken abhalten, das Galeriegebäude zu betreten. Im Inneren setzt sich diese gedankenreiche Kunst fort. Ein Schneidebrett mit Brotmesser empfängt den Besucher gleich hinter der Eingangstür. Ein Foto darüber zeigt, wie Teig geknetet wird zur Herstellung von Brot aus „unkontrolliertem Anbau“. Das Mehl wurde aus Getreidewildwuchs am Stadtrand von Villingen-Schwenningen gewonnen, denn die Schüler von Georg Winter haben sich über Wochen mit der Stadt auseinandergesetzt, in der sie ihre Werke ausstellen wollten. Daher bilden die Arbeiten, die von der Jury als realisierbar empfohlen wurden, auch nur einen Teil der Ausstellung. Neue Projekte rund um Villingen-Schwenningen kamen hinzu. So spielte für viele Studenten der Schwarzwald eine wichtige Rolle. Hyunho Park hat sämtliche Blätter von einer Birke gesammelt und in kleinen Tütchen zu einer Art Teppich auf dem Boden aufgestellt. Sogar ein ausgestopfter Bär findet sich – doch nicht als Anspielung auf gefährliche Waldbewohner, sondern auf die Gastwirtschaft „Bären“, in die einige der Studenten regelmäßig eingekehrt waren. Kunst im Umfeld von Georg Winter ist stets gedankenreich und witzig zugleich. So beobachteten einige Studenten einen Biber und stellten Holzstämme aus, die aussehen, als hätten Biber an ihnen genagt.
Timo Poeppel, Hylobat
Timo Poeppel schlüpfte sogar in eine Art Blättergewand und ließ sich so im Wald fotografieren, während andere sich ihrer Kleidung im Wald entledigt haben. Sogar eine Anspielung auf den Lehrer Winter gibt es. Winter nimmt auf seine Aktionen gern einen schwarzen Kasten mit, den er als Videokamera ausgibt, mit der seine Aktionen gefilmt würden, der aber nichts als ein leerer Kasten ist. Jochen Follmar hat einen weißen Kasten vor eine Blumenvase gestellt – nur: Dieser Kasten filmt tatsächlich das Blumenarrangement und auch die Besucher, die neben der Vase zu stehen kommen.
So ist eine witzige, anspielungsreiche Ausstellung entstanden, „Heimatkunst“ der besonderen Art – und eine Ausstellung, bei der man seiner Fantasie freien Lauf lassen kann, nein soll, denn auch das gehört zur Kunst von Georg Winter – und seiner Klasse.
„VvsV. Querulanten/Hylobaten“ in der Städtischen Galerie Villingen-Schwenningen, Friedrich-Ebert-Straße 35 78054 Villingen-Schwenningen bis 6.12.2015 Dienstag bis Sonntag 10-12 und 14-17 Uhr