In den Niederlanden wurde ein Preis nach ihm benannt, hierzulande ist er weitgehend unbekannt: Der Druckgraphiker Hendrik Nicolaas Werkman. Schon als Inhaber einer Druckerei fiel seine Vorliebe für ungewöhnliche Druckästhetiken auf – ein Spiel mit Buchstaben. Daraus entwickelte sich schließlich eine avantgardistische Kunst, die zwischen figürlich und abstrakt changierte. 1945 wurde er von den Nazis erschossen, über Gründe wird heute noch spekuliert, denn er gehörte nicht dem Widerstand an. Das Spendhaus in Reutlingen zeigt jetzt eine große Werkschau.
The Next Call, 1923. KlingsporMuseum Offenbach
Für manchen anderen wäre es so etwas wie das Ende zumindest eines wichtigen Lebensabschnitts gewesen. Und Hendrik Nicolaas Werkman war am Ende. Es war sicher eine der schwersten Stunden im Leben dieses Mannes. Er war mit seiner Druckerei pleite gegangen, hatte alle Mitarbeiter entlassen müssen, saß allein in der Abgeschiedenheit seiner Druckerei, spielte mit den Blei- und Holzklötzchen – länglichen Vierkantstücken – aus seinen Setzkästen, färbte sie ein und tat das, was bisher seine Maschinen für ihn getan hatten: Er druckte. Das war 1923, Werkman war da 41 Jahre alt. Auf den Blättern ergaben diese Klöstzchen schmale farbige Balken. Das Resultat waren Graphiken, die wegen der strengen schmalen rechteckigen Formen an die Kunst der Konstruktivisten erinnerten. Mal fügen sich die abstrakt geometrischen Formen auf diesen Blättern streng zu einer Balkenformation – so etwas nannte Werkman dann „Schornsteine“, und sie erinnern auch vage an Fabrikschlote. Auf anderen Blättern scheinen die Balken geradezu über die Bildfläche zu tanzen.
Der Künstler Werkman war geboren, seine Kunst, so meinte ein Freund einmal, sei das Resultat der Arbeitslosigkeit. Und Werkman verzweifelte nicht an dieser Situation, er sah sie vielmehr als Befreiung – als Befreiung zum Spiel: Werkman hatte in sich das Kind bewahrt, auch wenn die Balken, die anfangs sein Druckmittel waren, auf den ersten Blick streng geometrisch wirken. Solche abstrakten Kompositionen aus schmalen Farbstreifen waren in den Niederlanden nicht unbekannt, und Werkman, der sich immer schon, auch als Betreiber seiner Druckerei, für die Kunst interessierte, dürfte das genau gewusst haben. 1917 hatten sich in Leiden Künstler wie Piet Mondrian und Theo van Doesburg zusammengetan, um die Kunst von jeglicher Darstellungsfunktion zu befreien und in reine abstrakte Geometrie zu überführen. Doch Werkman hauchte diesen geometrischen Elementen geradezu poetisches Leben ein.
Er druckte mit allem, was seine Phantasie reizte – natürlich mit den Balken seiner alten Druckerei, die man für Leerstellen zwischen den Schriftzeichen benutzte, und natürlich auch mit den Lettern selbst, die heiter über die Papierflächen tanzen. Das erinnert ein wenig an den großen El Lisitzky, doch der war wiederum viel strenger in seiner Gestaltung. Sogar die Schreibmaschine diente Werkman als Ausdrucksmittel. Immer wieder tippte er in unterschiedlicher Dichte denselben kleinen Buchstaben auf das Papier, bis regelrechte Buchstabenwolken entstanden. Seine Drucke nannte er „Druksel“, diese Arbeiten mit der Schreibmaschine „Tiksel“, vom Niederländischen Ticken, das heißt Tippen. Je dichter er sie tippte, umso näher am Betrachter wirken sie, je lockerer er sie über das Blatt verteilte, umso weiter scheinen sie sich zu entfernen. So brachte er Perspektive in die abstrakte Kunst.
Später entwickelte er ein Drucken mit Schablonen, die er mit der Rasierklinge aus dünnem Papier ausschnitt. Da bevölkerten dann figürliche Elemente seine Bildwelten. „Hot Printings“ nannte er diese Arbeiten, inspiriert vom Hot Jazz.
Die Fahrt nach Berlin. Chassidische Legenden I, 1942. Groninger Museum
Vor allem die märchenhafte Seite der chassidischen Erzählungen eines Martin Buber hatten es ihm angetan, wobei er darauf verzichtete, einzelne Szenen zu illustrieren, vielmehr schuf er neue Szenen aus dem Geist des Gelesenen. Auch hier herrschte ein Geist des Spielerischen.
Fraueninsel 9, 1942. Groninger Museum
Später schuf er sich aus solchen Schablonenbildern eine Paradieswelt der Südsee, einen Traum von einer anderen, besseren Welt. Doch selbst wenn diese heiter auf der Bildfläche verteilten Gebilde an Figuren erinnern, haben sie zugleich etwas Abstraktes an sich. Letztlich blieb Werkman seinen Anfängen mit den Klötzchen aus seinen Setzkästen treu.
Später druckte er für die Mitglieder des so genannten „Blauwe Schuit“ – des „Blauen Kahn“, die in der Zeit der Besatzung durch die Nazis alte Texte drucken wollten. Unter diesem Namen fanden sich zur Zeit der deutschen Besatzung Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammen, die den Menschen in der schweren Zeit mit Texten Trost spenden wollten, meist alten Texten, in denen es um Freiheit, Frieden und Sehnsucht ging, die aber alles andere als offen politisch waren. Es sollten schöne Drucke werden, und sie wandten sich an Werkman, um sie herzustellen.
Doch die Gruppe erregte den Argwohn der Nazis und wurde letztlich dem Mann zum Verhängnis, der am wenigsten von allen politisch dachte: Hendrik Nicolaas Werkman.
„Hot Printing. H.N. Werkman 1882-1945. Kunstmuseum Spendhaus Reutlingen bis 28.2.2016. Katalog 256 Seiten, 340 Farbabbildungen, 30.- Euro