Er mischte sich ein, bezog Stellung. Der Maler Jerg Ratgeb engagierte sich für die Bauern im Bauernkrieg und musste das mit dem Leben bezahlen. Das war 1526. 450 Jahre danach setzte ein anderer Künstler, der sich gleichfalls für Gerechtigkeit und Freiheit engagierte, diesem Künstler ein Denkmal. HAP Grieshaber rief den Jerg-Ratgeb-Preis ins Leben. Damit sollte nicht unbedingt politische Kunst ausgezeichnet werden, wie man vermuten könnte, sondern generell ein künstlerisch bedeutendes Lebenswerk. Mit dem jüngsten Preisträger hat diese Ehrung allerdings wieder die Komponente, die das Werk des Stifters auszeichnet. Olaf Metzel, seit 1990 Professor für Bildhauerei in München, versteht Kunst als ästhetische Äußerungsform, die zugleich politische Stellungnahme ist: Kunst als eine Form der Provokation. Die den Preis begleitende Ausstellung im Reutlinger Spendhaus macht das deutlich.
13.4.1981 heißt eine Arbeit im zweiten Obergeschoss der großen Retrospektive. Das klingt harmlos, doch ein Blick auf die Skulptur verheißt das Gegenteil. Wild sind da Absperrgitter übereinandergetürmt, mit denen die Polizei zu erwartende Ausbrüche bei Protestaktionen eindämmen will, dazu Pflastersteine, die auch durch solche Gitter nicht abgewehrt werden können. Das Datum verweist auf eine Protestaktion, mit der in Berlin auf die Nachricht reagiert wurde, ein RAF-Häftling sei gestorben. Die Nachricht entsprach nicht der Wirklichkeit, die Ausschreitungen zeigten, wie aufgeheizt das politische Klima in diesen Jahren war. Das ist zweifellos eine politische Stellungnahme, doch eindeutig wie eine politische Demonstration ist sie nicht. Weder bezieht sie klar Stellung für die Protestierenden, noch zeigt sie Sympathie für die polizeilichen Maßnahmen. Metzel stellt Fakten in den Raum – in Form von Skulpturen – und ruft Gedanken hervor. Das ist die radikalste Form der Provokation, denn sie fordert nicht einfach Parteinahme heraus, sondern setzt Gedankenarbeit in Gang, und das verändert den Menschen, in diesem Fall den Betrachter, mehr als politische Forderungen.
Das gilt auch für seine Arbeit Stammheim, die er im Innenhof des Kunstgebäudes in Stuttgart kreierte. Ein Lorbeerkranz, wie man ihn bei festlichen, vor allem staatlichen Feiern gern aufstellt, lehnt da an der Wand, rechts darüber steht in Blockbuchstaben das Wort, das die politische Atmosphäre so explosiv machte. Natürlich ist das eine Stellungnahme in der Debatte um den Deutschen Herbst, um gezielte Provokation des Staates, aber es ist mehr. Der Lorbeerkranz kann als Symbol für verkrustete Ehrungsfeierlichkeiten in der Tradition des preußischen Obrigkeitsdenkens interpretiert werden – eine Tradition, die offenbar so fest im deutschen Bewusstsein verankert ist, dass sie noch immer gepflegt wird. Als Symbol für diese Verankerung hat Metzel ein Material gewählt, das jede positive Assoziation verhindert: Der Kranz besteht aus Beton. Altes Traditionsgut ist nicht einfach nur verankert, sondern zementiert – und zugleich in Auflösung begriffen, denn Teile des Kranzes sind zerbröselt, die Armierungseisen werden sichtbar. Hier wird nicht nur auf eine bestimme Phase der deutschen Geschichte verwiesen, sondern auf ganze Denkstrukturen, die nicht zuletzt einen Nazistaat ermöglicht haben.
Man kommt angesichts von Metzels Arbeiten ins Assoziieren, und dieser Denkprozess hört nicht auf. Nicht selten helfen dabei Titel. Freitreppe heißt eine Skulptur von 1994. Sie besteht aus verzinkten Stahltreppen, die sich spiralförmig nach oben winden. Das erweckt Assoziationen an Aufstieg, Freiheit, Ungebundenheit – durchweg positiv besetzte Begriffe. Doch Metzels Treppe führt ins Leere, kann gar nicht betreten werden. Der Begriff der Freiheit erweist sich als Schimäre.
Metzels Skulpturen verstören, nicht zuletzt, weil sie mit Zerstörung arbeiten. Metzel verwendet Alltagsmaterialien – Stahlbleche, die er gewaltsam schichtet, brutal verbiegt, ineinander verknotet. Gewalt ist oft Teil seiner Arbeiten, was die Frage aufwerfen kann, ob Kunst, die stets mit Formung arbeitet, nicht immer auch mit Gewalt arbeitet, eben Verformung. Und dass Verformungen Neues kreieren. Und schon bekommt der Begriff Gewalt eine neue Dimension.
Doch Metzel kann auch sehr verhalten sein, geradezu traditionell, womit deutlich wird, dass seine Arbeiten nicht einfach nur Dinge radikal in Frage stellen, sondern Bezug nehmen auf die Kunsttradition der Jahrhunderte. Turkish Delight heißt eine Plastik, doch ob sie tatsächlich Entzücken bei Türken hervorruft wie die gleichnamige Süßigkeit, ist fraglich. Es handelt sich um eine geradezu nach klassischen Prinzipien hergestellte Frauenfigur: Bronze, traditionell patiniert. Sie ist nackt, ein Frauenakt also. Durch das Kopftuch, das gewickelt ist wie ein Hijab, ist die Figur eindeutig eine Gestalt aus der Welt des Islam. Enthüllung und Verhüllung werden hier zur Einheit gezwungen, die östliche Welt mit der abendländischen vereint, doch wohl kaum zur Synthese gebracht. Das kann als Provokation religiöser Gefühle von Muslimen verstanden werden – und wurde es auch. Die Plastik wurde in Wien vom Sockel gestürzt. Doch wirft sie vielmehr die Frage auf, wie vereinbar sind islamisches Weltgefühl und abendländisches Kunstideal, wie vereinbar Orient und Okzident sind, Morgenland und Abendland. Diese Gedanken kann man sich derzeit im Garten des Reutlinger Heimatmuseums gegenüber dem Spendhaus machen.
Metzels Arbeiten sind Provokationen, doch nicht eindeutige Parteinahmen. Sie sind Denkanstöße, die mit rein künstlerischen Mitteln formuliert sind. „Mir ist das schwarze Quadrat wichtiger als die rote Fahne“, sagte Metzel einmal. Das Zitat steht über der Reutlinger Ausstellung. Will heißen: Kunst, gar abstrakte, also angeblich unpolitische, wie Malewitschs schwarzes Quadrat, bewirkt mehr als politisch einlinige Demonstration. Noch Fragen? heißen einige Arbeiten von Olaf Metzel. Diese Frage lässt sich eindeutig beantworten: Hoffentlich!
„Mir ist das schwarze Quadrat lieber als die rote Fahne: Olaf Metzel. Jerg-Ratgeb-Preis 2018“. Spendhaus Reutlingen bis 8.7.2018. Katalog 176 Seiten