Kinder von begabten, vielleicht sogar genialen Eltern haben es nicht leicht. Der Sohn von Goethe war eher ein Versager, von Mozarts Kindern ist auch keines im Musikerhimmel gelandet. Im Fall der Familie Mesmer in Oberschwaben ist es anders. Noch der letzte der Dynastie, der Flugpionier Gustav Mesmer, wiewohl kein Maler, sondern Tüftler, zeigte Spuren von dieser Begabung – Generationen nach dem Urvater dieser Sippe: Johann Georg Mesmer. In zahlreichen Kirchen in Oberschwaben hat er Wände und Decken ausgestaltet – so beispielsweise in Saulgau. Dort zeigt jetzt eine Ausstellung, wie er seine Begabung an die folgenden Generationen weitergeben hat.
Mit dem Pinsel auf der Leinwand war er dagegen nicht unbedingt das große Genie, dieser Johann Georg Mesmer, der 1715 in Wolfartshausen bei Saulgau zur Welt kam. Schon seine Zeitgenossen bemängelten eine gewisse Unnatürlichkeit in den Figuren: Die Gesichter wirken nicht selten plump, die Körper machen seltsame Verrenkungen. Aber was muss der Mann für Gene gehabt haben: Von seinen sechs Söhnen wurden fünf Maler! Doch auch dieser „Urvater“ einer künftigen Künstlerdynastie hatte seine Meriten, schließlich hatte er sich aus kleinen bäuerlichen Verhältnissen zum selbstständigen Maler emporgearbeitet und durfte an zahlreichen Kirchenausmalungen in Oberschwaben mitwirken – unter anderem im heutigen Bad Saulgau, zu dessen Stadtgebiet Mesmers Geburtsort heute gehört. Man braucht gar nicht erst in die Ausstellung in der Galerie Fähre zu gehen, die ja seit einigen Jahren im ehemaligen Saulgauer Kloster untergebracht ist, um diesem Maler zu begegnen. Bereits in der an der Hauptstraße gelegenen Antoniuskapelle des alten Klosters durfte Johann Georg Mesmer sich verewigen – und zwar mit einer „Spezialität“ seiner Kunst: einem Altarfresko, also einem an die Wand gemalten Altar, der dem Auge nur vorgaukelt, er rage in den Raum hinein, eine Altarsparversion gewissermaßen. In dieser illusionistischen Raummalerei, die im Barock ihren Höhepunkt erreichte, lag Mesmers eigentliche Begabung. Hierin und in der Weitergabe dieser künstlerischen Ader.
Zusammen mit seinem Sohn Josef Anton hinterließ er in über dreißig Kirchen seine künstlerischen Spuren, von Münsingen auf der Schwäbischen Alb bis Aulendorf am Vierwaldstätter See.
Josef Anton Mesmner, Anbetung der Hirten (nach Rubens), 1814
Dabei überflügelte der Sohn alsbald den Vater, denn er beherrschte auch die Figurenmalerei, schließlich hatte er sich in Wien ausbilden lassen und an den großen Meistern der Vergangenheit geübt. Einige Kopien etwa nach Michelangelo belegen das. Seine Porträts wirken lebensecht und sehr persönlich. Besonders die Schweizer rund um den Vierwaldstätter See, wo dieser Josef Anton Mesmer zehn Kirchen gestaltete, schlossen ihn in ihr Herz, einem Zeitgenossen zufolge hatten ihn die dortigen Talvölker zum Liebling erkoren, weil er mit seiner Malerei den Geschmack der Zeit getroffen habe.
Aber auch die Töchter müssen das Künstlergen mitbekommen haben. Die eine ergänzte es gewissermaßen durch die Heirat mit dem Maler Jakob Volmar aus Mengen. Aus dieser Verbindung gingen wiederum Künstlerkinder und -enkel hervor. Eine zweite Tochter, Walburga, muss genug an entsprechenden Erbanlagen in ihre Ehe eingebracht haben, sie heiratete den Metzgersohn Magnus Sauter – und gebar mit ihrem Sohn Johann Georg den wohl bedeutendsten Künstler dieser Dynastie. Er war ein Meister von Genreszenen, vor allem Massenszenen, denen er dramatische Bewegung verleihen konnte.
Einer von Johann Georg Mesmers Enkeln, Meinrad Mesmer, bildete eine Ausnahme, er war künstlerisch nicht tätig, aber er muss, was die Erbanlagen betrifft, als eine Art Relais fungiert haben. Seine Nachkommen reichen bis ins 20. Jahrhundert. Darunter findet sich auch der als „Entenmaler“ bekannt gewordene Gustav Mesmer. Realistischer als er kann man das fein gezeichnete Gefieder dieser Vögel kaum mehr wiedergeben.
Von den Frauen der Mesmers wurde zwar stets behauptet, auch sie seien künstlerisch begabt, doch häufige Schwangerschaften verhinderten eine entsprechende Karriere. Sie traten erst in der sechsten Generation hervor, aber auch diese künstlerisch Begabten ergriffen eher soziale Berufe wie das Lehramt und malten nur nebenher. Begabung war dennoch auch hier vorhanden.
Den Schlusspunkt dieser künstlerischen Genealogie bildet Gustav Mesmer, der erst 1994 starb. Er wurde allerdings nicht als Maler bekannt, sondern als Konstrukteur, genauer: Hobbykonstrukteur.
Gustav Mesmer, Flugfahrrad (Ausstellungssituation)
Sein großer Traum war der des antiken Ikarus, weshalb er denn auch nach dem griechischen mythischen Helden, der zu hoch hinaus wollte und daran zugrunde ging, als „Ikarus vom Lautertal“ bezeichnet – und lange Zeit belächelt. Der Mann, der Jahrzehnte lang in psychiatrischen Anstalten untergebracht war, bastelte unermüdlich aus Fahrrädern und Schwingen Maschinen, auf denen er hoffte, sich aus eigener Körperkraft in die Lüfte erheben zu können – vergeblich. Doch die manchmal skurril wirkenden Konstruktionszeichnungen und Skizzen seiner Flugvisionen sind längst auch auf dem auf naive Kunst oder Art brut ausgerichteten Kunstmarkt begehrte Blätter und zeigen künstlerisches Potential, das er offenbar von seinem Urururgroßvater geerbt hatte, jenem 1715 geborenen Johann Georg Mesmer aus Wolfartshausen.
So zeigt die Ausstellung ein erstaunliches künstlerisches Vererbungspotential und lädt mit einer Karte im Katalog zu einer Reise durch die Kirchen Oberschwabens und der Schweiz ein.
„Die Mesmers. Vom Saulgauer Barockmaler zum Ikarus des Lautertals“. Städtische Galerie Fähre, Bad Saulgau, Altes Kloster, bis 21.2.2016. Katalog 15 Euro