Dem schon legendären Satz von Sepp Herberger ist anzumerken, wie schwer das alles sein muss: Das Runde müsse ins Eckige, so definierte der ehemalige Bundesfußballtrainer das Ziel seines Sports – und der Satz klingt wie ein Stoßseufzer angesichts der Tatsache, wie schwer dieses Ziel zu erreichen ist. Dabei ist das Eckige im Fußballsport noch relativ leicht zu treffen, denn es ist rechteckig, der Ball hat also durchaus Platz darin. Ganz anders sieht es beim Quadrat aus, denn will man eine entsprechend große Kugel in ein solches Viereck platzieren, muss man schon sehr genau treffen. Die „Quadratur des Kreises“ gilt denn ja auch als Inbegriff des Unmöglichen. Diesem Spannungsverhältnis widmet sich die neue Ausstellung in dem auf das Quadrat spezialisierten Museum Ritter in Waldenbuch.
Wie schwer sich diese beiden wohl perfektesten – und damit auch hermetischsten – geometrischen Gebilde tun, um zueinander zu kommen oder sogar zur Einheit zu werden, zeigt eine Arbeit von Channa Horwitz. Zwar kann man hier immer wieder Ansätze zur quadratischen und kreisrunden Form ausmachen, aber eben nur Ansätze, die konterkariert werden von Gebilden, die eher wie Rechtecke oder Ovale aussehen. Quadrat und Kreis können sich zu einem Miteinander treffen, aber, so die Botschaft, eben nur vage. Eine Quadratur des Kreises – bzw. eine „Verkreisung“ des Quadrats – ist hier nicht erreicht, und auch gar nicht angestrebt.
Wie sehr Kreis und Quadrat in der Geometrie wie Hund und Katze zueinander stehen, macht François Morellet deutlich: In einer Wandinstallation lässt er die beiden regelrecht aufeinander treffen: Das Quadrat scheint die Oberhand gewonnen zu haben und gibt dem darunter hängenden Kreis mit einer seiner vier Spitzen einen Schubs – doch zugleich scheint das Quadrat ohne den Kreis auf verlorenem Posten zu stehen, denn der Kreis stützt hier die gegnerische Form, die sonst zu Boden stürzen würde – eine empfindliche Symbiose. Ähnlich heikel ist das Verhältnis zwischen beiden Formen bei Matti Kujasalo: Bei ihm setzt sich der Kreis aus lauter kleinen Quadraten zusammen, die ihrerseits wieder aus lauter winzigen Quadraten und Rechtecken bestehen. Das Resultat ist eine in sich nervös vibrierende Bildtafel, bei der man den Eindruck hat, die Quadrate würden am liebsten die sie einengende Kreisform sprengen. Bei David Fried fühlen sich wiederum die Kugeln vom Quadrat eingeengt. Sie bewegen sich auf einer quadratischen Magnetplatte, an deren Außenseiten dünne Seile ein Weiterrollen verhindern. Auch hier kämpfen die beiden geometrischen Grundformen gegeneinander und werden doch zur Kohabitation gezwungen.
Dieses Zusammenleben gestaltet Victor Vasarely auf seinen OpArt-Bildern schon etwas harmonischer.
Bei ihm scheinen sich die Quadrate auf der Leinwand wie Halbkugeln nach vorn zu wölben – aber sie scheinen es eben nur zu tun. Die Verbindung von Kugel und Quadrat ist offenbar allenfalls virtuell zu haben, es sei denn, man greift zu einem Trick der Geometrie. Der Kreisform verwandt ist die Spirale, die freilich streng genommen kein richtiger Kreis ist, sondern ein wenig eiert – und von daher schon eine leichte Tendenz hat, dem feindlichen eckigen Quadrat entgegenzukommen.
Dass das nicht so leicht ist, zeigt Sebastian Hempel, der in einem beleuchteten, sich um die Achse drehenden Plexiglasgebilde quadratische transparente Scheiben rotieren lässt. Sie bleiben im Kreisrund, wirbeln umher wie die Splitter in einem Kaleidoskop, aber mehr als ein Spielball der Mächte des rotierenden Kreises sind sie nicht. Hier hat der Kreis die Oberhand.
Kreis und Quadrat, so scheint es, lassen sich nicht vereinen. Die Künstler haben für diese Botschaft raffinierte Bildeinfälle gefunden – und in zwei Fällen möglicherweise sogar eine ideale Lösung. Dass es auch harmonisch zugehen kann, zeigt François Morellet mit einer Kugel aus lauter dicken Stahldrähten. Keiner der Stahlstäbe ist gebogen, kommt also nicht dem von der Kugel geforderten Rund entgegen. Vielmehr bilden die Stäbe lauter kleine Quadrate, die sich von außen betrachtet zu einer Kugel formen; das könnte ähnlich unruhig wirken wie das erwähnte Bild von Kujasalo, und doch strahlt dieses aus so konträr wirkenden Elementen bestehende Gebilde, die einander auszuschließen scheinen wie Feuer und Wasser, eine erstaunliche Ruhe aus, wirkt geradezu stoisch philosophisch. Die Quadratur des Kreises gelingt offenbar doch – auch wenn man den Preis erkennt, um den sie erkauft wurde, wenn man das Gebilde umrundet und der Eindruck der Kugel je nach Perspektive dem Eindruck kleiner Quadrate Platz macht. Und noch einer hat diese Idealsymbiose nahezu perfekt erreicht: Timm Ulrichs. Er lässt ein Drahtgebilde auf einer dünnen Stange rotieren: Mal haben diese dünnen Drähte die Form eines Quadrats, mal die eines Kreises – allerdings nie beides gleichzeitig. Kreis und Quadrat mögen sich zueinander verhalten, wie sie mögen, sie behalten doch stets ihre eigene Identität. Das Runde mag ins Eckige müssen – passen tut es ihm nicht.
„Das Runde muss ins Eckige. Kreis und Quadrat in der Sammlung Marli Hoppe-Ritter“. Museum Ritter, Waldenbuch, bis 3.10. 2016