Er zählt zum Inbegriff beruflicher Tristesse – der Büroalltag. Da schreckt das tägliche Einerlei der Bearbeitung des rechten Stapels zum linken, da ist der Staub der Akten, der Zwang zur peniblen Ordnung, die Notwendigkeit, jede Kleinigkeit in Sekundenschnelle wiederzufinden, staubtrockene Materie, klare Linie. All das findet sich auch in einer Ausstellung in der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen, und doch kann man dort diesem ach so drögen Thema so manchen Witz abgewinnen, denn gezeigt wird das, was Künstlern von heute zum Büro eingefallen ist.
Eigentlich sollte man annehmen, dass Künstler, jene Spezialisten für überbordende Fantasie, deren Arbeitsalltag fern von jeglicher Routine ist und denen man nicht selten auch einen Hang zum kreativen Chaos nachsagt, dem Büro fern stehen. Doch weit gefehlt. Ordnung muss sein, dachte sich wohl Matten Vogel, und hielt in einem den Bürowandkalendern nachempfundenen Ordnungssystem genau fest, an welchen Tagen er im Atelier war und an welchen nicht. Im Mai 2016 war seine Schaffenslust offenbar nicht allzu ausgeprägt, da finden sich doch erstaunlich viele weiße Felder.
Ordnung muss sein, dachten sich auch die Ausstellungskuratoren in der Bietigheimer Galerie und stellten an den Anfang des Ausstellungsrundgangs eine Stechuhr, schließlich sollte man als Besucher ja wissen, wie lange man sich hier aufgehalten hat.
Und Ordnung kann ja durchaus ihre Reize haben: Beat Zoderer hat vier Leitzordner zu einem großen Quadrat geschichtet, da wird der Inbegriff bürokratischer Ablegetätigkeit zum konstruktivistischen Kunstwerk. Und wer meint, der Büroalltag sei grau, der sehe sich nur einmal die Utensilien an, mit denen man dort Umgang hat.
Da gibt es Prospekthüllen in gelb, blau, rosa, natürlich auch farblos, aber die reizten Zoderer bei einer anderen Arbeit weniger: Er legte die farbigen transparenten Hüllen übereinander und präsentierte sie hinter Glas als Bild, das ist eine ganz spezielle Farbenlehre.
Farbenlehre betreibt auch Tina Hase. Sie nahm sich transparente farbige Lineale und hängte sie quer zur Wand. Wenn man daran vorbeigeht, changieren die Farbvaleurs in allen erdenklichen Mischungen, obwohl sie sich auf vier Farben beschränkte. Doch ein blaues Lineal durch ein gelbes betrachtet macht eben ein grünes daraus – Vierfarbendruck der besonderen Art.
Womit wir bei den Utensilien selbst wären. Thomas Neumaier hat eine uralte Schreibmaschine ausgegraben und nahezu alle Typen entfernt; es blieben nur O-R-D-N-U-G, doch weil das kein richtiges Wort ergibt, montierte er eine zweite Type mit einem N hinzu – und hatte nun „ORDNUNG“, die ja bekanntlich das halbe, im Büro natürlich das ganze Leben ist.
Wie aufregend und die Kreativität anregend kann doch ein normaler Radiergummi sein. Auf richtige, das heißt künstlerisch-geometrische Weise geschichtet ergibt sich ein farbenfrohes Gebilde. Aus bunten Lochverstärkungsringen, Klebeetiketten oder Aktenreitern lassen sich ansehnliche abstrakte Farbkompositionen basteln, womit wir wieder bei der Ordnung wären, für die Ignacio Ugarte in einem Video sogar ein Ballett erfunden hat. Er bezeichnet sich übrigens ausdrücklich als „Bürokünstler“. Wie von Geisterhand füllen sich da in Windeseile Aktenschränke mit Ordnern und leeren sich wieder.
Das freilich kann man auch als symbolischen Verweis auf das Sisyphusartige so mancher Büroarbeit sehen, die denn naturgemäß sehr schnell in Langeweile ausartet – einen Zustand, in dem man gern wie automatisch zum Kugelschreiber greift und einfach vor sich hin kritzelt – wirr durcheinander oder mit kleinen Zeichnungen.
So wird die Bürosituation zum kreativen Quell – oder zum Austragungsort verständlicher Aggressionen. Florian Lechner nahm sich Stapel leerer Schreibmaschinenblätter und zerknüllte sie einzeln. Die Aggression muss sehr ausgeprägt gewesen sein: 35.000 Blätter waren bestellt worden, knapp 10.000 davon hat er zusammengeknüllt und zu einem Riesenberg anwachsen lassen, die restlichen Blätterstapel liegen unberührt am Boden. Bei diesem Werk darfd der Besucher nicht selbst Hand anlegen, er sollte aber nicht vergessen, beim Verlassen der Ausstellung seine Zeitkarte abstempeln zu lassen.
„Out of Office. Büro-Kunst oder das Büro im Museum“, Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen bis 8.4.2018. Katalog 114 Seiten Euro 19.90