List, Lüge, Verrat ist auf der Opernbühne gang und gäbe und führt nicht selten zur Tragödie wie Jagos Lüge um Desdemonas Taschentuch in Verdis Otello. Selten wird jedoch die gesamte Handlung einer Oper von der Vortäuschung falscher Tatsachen geradezu beherrscht wie Mozarts Così fan tutte, wollen doch hier zwei junge Männer die Freundin des jeweils anderen verführen, wenn auch in der hehren Absicht, deren Treue zu beweisen. Hierzu müssen sie erst einmal vorgeben, sie müssten in den Krieg ziehen, um dann verkleidet zum Verführungsspiel zurückzukehren – alles for show. Das Theatre Royal in Glasgow hat genau das zum Thema einer Neuinszenierung gemacht.
Shengzhi Ren, Ferrando, Michael Mofidian, Alfonso und Arthur Bruce, Guglielmo. Standbild aus dem Videostream
So findet das Geschehen denn auch nicht, wie in da Pontes Libretto vorgesehen, in einem Caféhaus oder einem vornehmen Garten statt, sondern in einem Fernsehstudio. Regisseurin Roxana Haines hat die Verführungsversuche von Ferrando und Guglielmo in eine Art Datingshow verlegt. Alfonso ist nicht ein zynischer Philosoph, sondern der Showmaster in Glitzerjackett, der nahezu ständig auf der Bühne ist und seine „Kandidaten“, denen er zu Beginn den Geldkoffer gezeigt hat, der dem Sieger gehören soll, anfeuert, wenn sie sich den zunächst abweisenden Damen nicht feurig genug nähern. In einigen Logen sitzen ein paar Livezuschauer – Teile der Inszenierung – und feuern die Kandidaten an bzw. zeigen ihren Zuspruch durch hochgehaltene rote Papierherzen. Alles for show, ganz wie es das Libretto will, das den beiden jungen Männern ja auch einige Übertreibungen vorschreibt.
Leichtes Spiel haben es diese Kandidaten indes nicht, treffen sie doch bei Fiordiligi und Dorabella auf zutiefst Liebende, und vor allem Fiordiligi ist von Anfang an eine schwere Hürde für einen Verführer.
Charlie Drummond, Fiordiligi. Standbild aus dem Videostream
Mit ihrem streng zurückgekämmten Haar, dem recht unmodisch wirkenden Kleid aus dickem rötlich-braunem Stoff, das eher wie eine Rüstung denn wie ein Gesellschaftskleid anmutet, und ihrer oft abweisenden Miene wirkt diese Fiordiligi nicht wie eine junge, gefühlvolle Frau aus dem sonnigen Süden Europas als vielmehr wie eine Vorkämpferin eines fast schon militanten Pietismus, und wenn sie in ihrer großen Felsenarie ihre unbedingte Treue zu ihrem Geliebten Guglielmo beschwört und dabei den Zeigefinger wie eine Waffe in die Höhe streckt, kann sie geradezu zum Fürchten sein. Roxana Haines hat diese Figur ganz aus deren Felsenarie heraus konzipiert, in der sie mit Spitzentönen und halsbrecherischen Koloraturen felsenfeste Treue schwört – wie Charlie Drummond Fiordiligis Felsenarie meistert, eine der schwersten, die Mozart geschrieben hat, ist berückend.
Dorabella ist da schon ein wenig zugänglicher, Margo Arsane bringt das in einer stets entspannten Körperhaltung zum Ausdruck, und mit ihrem warmen Mezzosopran wirkt sie auch ungleich weniger hoheitsvoll, menschlicher, vielleicht auch gefühlvoller. Beide Sängerinnen arbeiten rein stimmlich die unterschiedlichen Persönlichkeitsprofile meisterhaft heraus.
Das gilt auch für die Herren: Shengzhi Ren als Ferrando verfügt über eine betörend schöne, leicht geführte Tenorstimme, die den Anforderungen dieser hohen Partie voll gerecht wird, Arthur Bruce gestaltet den Guglielmo spielerisch mit seinem leichten, hohen Bariton, dem Michael Mofidians Alfonso die entsprechende sonore Fülle dessen entgegensetzt, der die beiden jungen Verliebten überzeugen will, und Catriona Hewitsons spielerischer Koloratursopran bringt die Keckheit des Stubenmädchens Despina zur Geltung. Stimmlich ist das ein Fest, vor allem wenn sich die beiden Frauenstimmen der Heldinnen in den Ensembleszenen über den Chor der übrigen erheben.
Die Bühnenhandlung freilich ist gerade durch den auf den ersten Blick so naheliegenden Gedanken, dieses Schaugehabe im Gebalze der beiden jungen Männer in einer TV-Show anzusiedeln, eingeschränkt. So agieren die Figuren meist nicht miteinander, sondern zur Rampe hin, sprich zur Fernsehkamera (was im Fall der Premiere tatsächlich eine solche war, denn coronabedingt wurde sie ohne Publikum nur für die Kamera gespielt, das Video steht derzeit als Stream zur Verfügung). Auf diese Weise sind die einzelnen Arien eher Monologe denn szenische Kommunikationen. Das freilich hatte wohl auch Auswirkungen auf die dramatische Ausgestaltung durch die Sänger – und das ausgerechnet bei einer Oper, deren Musik geradezu sprechend ist. Es mangelt an Dramatik, an Zugespitztheit, und gerade davon lebt diese Oper. Grund dafür ist sicher der TV-Showcharakter der Inszenierung, der den Akteuren eine dramatische Bühnensituation vorenthält. Aber auch das Dirigat von Stuart Stratford ist nicht dazu angetan, die unterschiedlichen Emotionsebenen gesanglich auszuarbeiten. Er gestaltet zwar klangschön die bei Mozart so wichtigen Holzbläser, doch ist er in der dramatischen Zuspitzung allzu zurückhaltend. So fehlt das erotische Augenzwinkern bei Dorabella, und wenn Guglielmo in seinem Liebesbekunden vom Libretto ein sprechendes „batte, batte, batte qui“ singen darf, das Mozart musikalisch als Herzschlag charakterisiert, dann schlägt hier nichts. Das ist musikalische Dramatik im Schongang, allerdings in einem Schönklang sondergleichen.
So ist eine Così entstanden, die ein wenig brav wirkt, rein verspielt, die nichts vom Ernst und der heiklen Moral verrät, die hinter diesem Stück steckt, in dem sich ironischerweise erst durch das Rollenspiel der beiden Männer, eben ihre Show, die wahren Paarungen ergeben, denn die ursprünglichen führen Sopran und Bariton, Tenor und Mezzo zusammen, erst die Verkleidung, die Täuschung bringt zusammen, was operntypologisch zusammengehört: Sopran und Tenor, Mezzo und Bariton. Nichts davon ist auch nur andeutungsweise in Glasgow zu spüren. Diese Così ist allzu brav, und gerade das hatten da Ponte und Mozart sicher nicht im Sinn.
Bis 31. 12.2020 als Stream verfügbar: