Im Rückblick, wieder in der Schweiz, mag es Thomas Mann wie eine ironische Fügung vorgekommen sein. Vierzehn Jahre dauerte sein Exil in den USA, und es zerfiel in zweimal sieben Jahre – sieben glückliche, in denen er als Repräsentant deutscher Literatur und europäischer Kultur galt, und sieben, in denen ihm im Zuge der Kommunistenverfolgung eines McCarthy der Wind entgegen blies. Für einen Schriftsteller, dem Ironie und Symbolik zum Wesensausdruck geworden waren, eine interessante Konstellation. Ihr widmete das Deutsche Literaturarchiv Marbach eine große Ausstellung, die mehr ist als eine bloße literarhistorische Informationsschau.
Blick in die Ausstellung (Foto: Chris Korner, DLA Marbach)
Es ist alles da, was zu der Geschichte dieses Exils gehört. Da sind die vier riesigen Reisekoffer, mit denen Katja und Thomas Mann in die USA emigrierten – viel Gepäck, gewiss, doch für einen Schriftsteller wie Mann, der in seine Romane eine Vielzahl literarischer Anspielungen einfließen ließ und dem eine große Bibliothek unverzichtbar ist, wenig. Aber er weiß damit auszukommen. „In den Arbeiten, die ich mit mir führe, ist meine Heimat … wo ich bin, ist Deutschland.“
Dieses Statement freilich ließe sich auch anders deuten: Nicht nur, dass er sein Deutschland mit sich führe, sondern dass er Repräsentant Deutschlands sei, das politisch verloren war. Denn Thomas Mann tat etwa, was er ohne seine Übersiedlung in die USA so wohl nicht getan hätte: Er engagierte sich für ein demokratisches Deutschland – wenn auch erst nach einigem Hin und Her. Er habe, wie Sohn Golo formulierte, geschwankt „wie eine geköpfte Wespe. Soll er schweigen, im Interesse seines Romans, der in Deutschland erscheinen soll? oder soll er sich äußern? Ich rate zum letzteren.“ Und Thomas Mann tat es, unter anderem mit seinen Rundfunkreden an die Deutschen in der BBC.
Dorothy Thompson: „The Most Eminent Living Man of Letters“, New York Herald Tribune, 10. Juni 1934 © ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv. Fotograf: Unbekannt
Es findet sich in der Ausstellung die große Anerkennung, die ihm in den USA zuteil wird: „The most eminent Living Man of Letters“ schreibt die Presse über den Deutschen, dem gleichwohl nicht der Erfolg beschieden ist wie den Kollegen-Nobelpreisträgern T.S. Eliot und William Faulkner, weil sie eben in der Weltsprache Englisch schrieben, er dagegen auf deutsch. So gesteht er „Neid“ auf Eliot ein.
Natürlich fehlen nicht die in den USA entstandenen Bücher: Die Fertigstellung der Joseph-Tetralogie, der Doktor Faustus und Der Erwählte. Hier gelingt es der Ausstellung nachzuweisen, wie stark die USA in Thomas Manns Schaffen wirkten. So wird Joseph der Ernährer eine Art Reflex des amerikanischen Präsidenten, die Kornkammer Ägyptens gleichgestellt der Rolle, die Amerika für die Welternährung spielen könnte. Im Erwählten reflektiert Mann noch einmal über die Sprache, in der ein Werk abgefasst sei, und im Doktor Faustus erwägt der Erzähler Serenus Zeitblom, ob er seine Notizen nicht lieber in die USA in Sicherheit bringen solle. Ohne Amerika sähen die späten Romane Thomas Manns anders aus. Selten kann man derart stringent nachvollziehen, wie Umgebung und Zeitläufte Literatur prägen bis in die Form.
Und es fehlt auch nicht der Abgesang auf das einst mit Hoffnung betrachtete Amerika, die Furcht, Verfolgung könne sich auch hier in seinem Leben wiederholen.
Das alles führt die Kuratorin Ellen Strittmatter in den Vitrinen auf drei Ebenen vor. Dabei hätte sie durchaus in der oberen Vitrinenebene die politischen und gesellschaftlichen Realitäten präsentieren können, die Thomas Mann in Amerika, so der Titel der Ausstellung, prägten, in der Ebene darunter die Werke, die in diesem Ambiente entstanden, und ganz unten die persönlichen Auslassungen, allen voran die Tagebücher, die mit dem Exil in den USA eigentlich erst beginnen, denn alle zuvor entstandenen vernichtete Thomas Mann, so als habe sein persönliches Leben mit der Übersiedlung in die USA einen Neuanfang erlebt.
Eine solche Anordnung der Exponate hätte der Sicht des Literaturhistorikers entsprochen. Ellen Strittmatter wählte aber die umgekehrte Reihenfolge.
Thomas Mann, Manuskriptseiten, Tagebuchblätter (1938) © ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv. Fotograf: Unbekannt
Zuoberst stehen die persönlichen Notate, steht gewissermaßen der Mensch, der Kopf Thomas Manns. Darunter das, was diesem Individuum, dem Geist, entsprang: die Werke, und darunter, gewissermaßen als Lebensfundament, die Dokumente aus der „Welt“: Zeitungsausschnitte, Briefe von Freunden, Verlegern, Mäzenen. Damit gelingt der Ausstellung ein faszinierendes Porträt des Schriftstellers aus seinem Innersten heraus, also des Mannes, wie er empfindet, schreibt, lebt. So wird minutiös nachvollziehbar, wie sich sein Denken wandelt, vom Unpolitischen zum politisch Engagierten. Wir steigen gewissermaßen ein in das Denken und Fühlen dieses Mannes, werden zum Teil selbst der Schriftsteller, dessen Schreiben sich wandelt, spüren nach, wie die Außenwelt die Innenwelt prägt. Das ist nicht Thomas Mann in Amerika, wie es der Literaturhistoriker sieht, sondern Thomas Mann in Amerika, wie es der psychologisch einfühlsame Literaturexeget empfindet. Es ist das eigentliche Porträt von Thomas Mann in Amerika.
„Thomas Mann in Amerika“, Literaturmuseum der Moderne, Marbach am Neckar, bis 30.6.2019. Katalog 241 Seiten, 20 Euro
Die Ausstellung ist in der Tat spannend. Das Thomas-Mann-Archiv in Zürich hat eine Rekordzahl an Leihgaben nach Marbach geliefert. Etwas kurz kommt für mich Thomas Manns demokratiekritische Einstellung vor seiner „erzwungenen“ Wandlung zum Verteidiger der Demokratie. Sie wird eher indirekt durch die Ausstellungsobjekte deutlich.
Spannend finde ich die zahlreichen Publikationen, die im Rahmen des Ausstellung veröffentlicht wurden, z.B. das Marbacher Magazin in einer Doppelausgabe zum Thema Thomas Mann in Amerika, die Erinnerungen von Frido Mann oder der aufwändig recherchierte und opulent bebildetere Band von Nenik/Stumpf über das Thomas Mann Haus in Pacific Palisades. Allesamt sehr unterschiedliche und sehr lohnenswerte Publikationen,
Ich habe heute mehr als 3 Stunden im Internet verbracht, aber ich habe nie so einen anregenden Bericht wie Ihren gefunden. Meiner Ansicht nach würde das Netz um einiges nützlicher sein, wenn
alle Webbesitzer und Blogger ebenfalls so aufschlussreiche Inhalte, wie es Ihre sind, publitzieren würden.
Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, ein Kommentare abzugeben.
Außergewöhnlich gut verfasst!