Marcel Duchamp hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Kunstbegriff revolutioniert. Von da an galt nicht die geniale künstlerische Handschrift als Ausweis dessen, was Kunst ist, sondern der Wille des Künstlers mit der Folge, dass alles Kunst sein konnte – folglich auch alle Materialien zur Herstellung von Kunst eingesetzt werden konnten. Zur selben Zeit machte Kasimir Malewitsch mit seinem Schwarzen Quadrat deutlich, dass Kunst mit der Erfindung von Gegenstandswelten nichts mehr zu tun haben muss. Kunst war grenzenlos geworden – eine Chance zu Beginn, doch spätestens ab der Mitte des 20. Jahrhunderts auch ein Problem zumal für junge Künstler. Das kann man beispielhaft in einer Ausstellung mit Werken von Günther Förg im Reutlinger Kunstverein nachvollziehen.
Eine glänzende Kupferplatte macht den Auftakt, Metall auf einen Holzkern aufgezogen. Förg fertigte sie noch zu Studienzeiten an und setzte ein Signal. Das Bild in der Moderne hat Objektcharakter und muss nicht auf Holz oder Leinwand gemalt sein. Und so begann er, Metall als Malgrund zu verwenden, und das hieß bei ihm stets, geradezu manisch experimentell zu erkunden. Wie verhält sich Farbe auf Kupfer, inwieweit bringt sich das Material des Malgrunds in die Farbgestaltung ein. Das konnte mal wolkig ausfallen, mal nahezu monochrom, immer aber üben die abstrakten farbigen Quadrate eine geradezu magische Wirkung aus. Ganz anders verhielt sich die Farbe auf Blei. Schon von Anfang an trat hier ein junger Künstler auf, der sich als genuiner Maler entpuppte, der den Dingen auf den Grund ging, und das hieß in seinem Fall der Farbe.
Für eine andere Serie wählte er das klassische Holz als Malgrund, das er zunächst farbig grundierte, sodass er wie eine Messingplatte wirkte. Darüber legte er mit breiten Strichen violette Farbflächen, in denen er mit seinen Fingern Linien zog – eine Auseinandersetzung mit den Malinstrumenten und der Frage, was die Handschrift eines Künstlers in der Moderne bedeute. Förgs Arbeiten beinhalteten stets das Malexperiment, zeigen das tastende sich Vorarbeiten bei der Erarbeitung eines Themas oder künstlerischen Problems und die Theorie, die das künstlerische Tun begleitet.
Doch ist das nur die eine Seite dieses Künstlers. Immer wieder ließ er sich von der großen Kunst des 20. Jahrhunderts inspirieren, die er in Ausstellungen, aber auch in schlichten Bildbänden fand. Die eines Alexej von Jawlensky zum Beispiel. Dabei interessierten ihn nicht die frühen Porträtköpfe, sondern die späten Abstrakten Köpfe, bei denen vom Gesicht lediglich einige wenige Striche vor einem farbigen Grund übrig blieben. Das ist Abstraktion auf hohem Niveau, introspektiv und zugleich gerade religiös auratisch. Jawlenskys späte Bilder haben etwas von Ikonen an sich – und das eignet auch den „Nachschöpfungen“ durch Günther Förg und verleiht seiner frühen Studienarbeit, der Kupferplatte auf Holzkern, nachträglich eine zusätzliche Dimension.
Ähnlich widmete er sich – immer in ganzen Zyklen – den späten Bildern von Edvard Munch, aus denen er dann einzelne Details wie das eines Stoffmusters für weitere Werke vereinzelt, so dass eine ganz neue Gestaltung aus der Auseinandersetzung mit dem bewunderten Vorbild entstand.
Mit einem solchen Nebeneinander unterschiedlichster Kunstäußerungen freilich wird Förg für den Betrachter ein Problem, denn man vermag kaum, einen persönlichen Stil zu erkennen. So verwundert es dann schon nicht mehr, dass er systematisch die Farbklaviatur weiterführte, die der Architekt Le Corbusier entwickelt hatte. Für ihn war Farbe integraler Bestandteil er Architektur wie der Grundriss und der Schnitt eines Gebäudes, und entwickelte eine Farbpalette für den Architekten. Förg arbeitete diese Palette geradezu wissenschaftlich systematisch in alle möglichen Farbkombinationen durch und schuf zugleich eine Brücke zu dem gleichfalls von ihm bewunderten Josef Albers, der mithilfe des Quadrats eine ähnlich systematische Farbuntersuchung ntwickelt hatte. In einem späten Bild fügte er dann das, was er nach Le Corbusier abstrakt in Rechtecken durchgespielt hat, in malerischer Form locker individuell weiter. Der Strenge der Farberkundung von 2000 folgte die Umsetzung in einen lockeren Pinselstrich.
So begegnet man in dieser Ausstellung einem Künstler, wie ihn vermutlich gerade die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hervorbringen konnte, vielleicht musste: Förg sah sich mit der Situation konfrontiert, dass alles möglich sei, auch schon vieles bis ins Extrem ausgelotet worden war, und stellte sich unablässig die Frage, was einem Künstler wie ihm da noch zu tun bleibe. Darin ist er möglicherweise einem Gerhard Richter nicht unähnlich, obwohl Richter ein ungleich früherer Jahrgang ist. Auch Richter führt mit seinem Gesamtwerk vor, dass alles denkbar ist – ein abstraktes Rakelbild ebenso wie das verschwommen abgemalte alte Passbild eines Onkels, eine hyperrealistisch gemalte Kerze ebenso wie das Glasfenster für den Kölner Dom. Hatte Förg Spuren seiner Finger in der nassen Farbe einiger Bilder hinterlassen und so indirekt die Frage nach der Signatur aufgeworfen, so hatte Richter – aus Witz – einige Drucke seines Kerzenbildes mit „Beuys“ und „Baselitz“ signiert.
Und doch sind beide Künstler höchst unterschiedlich. Richter befasst sich intensiv mit einer neuen Bildidee und realisiert sie, wenn er sie ganz durchdacht hat, in einem perfekten Ergebnis, um sich dann anderen Fragestellungen zuzuwenden. Förg arbeitete sich an einem solchen Problem ab, hinterfragte, suchte neue Wege. Würde man Richter die Frage nach dem „anything goes“ stellen, würde er möglicherweise ein Ausrufungszeichen dahinter setzen, bei Förg ist es das Fragezeichen. Die Reutlinger Ausstellung zeigt einen vielleicht sogar verzweifelt Suchenden, dessen Suche wohl nie an ein endgültiges Ziel gelangt wäre, auch wenn er nicht mit Mitte sechzig gestorben wäre. Insofern begegnet man in dieser Austellung neben den Werken dieses Künstlers auch seinem Innersten.
„Günther Förg 1976-2008. Gemälde und Werke auf Papier aus der Sammlung Friedrichs“, Kunstverein Reutlingen bis 26.8.2018. Katalog 48 Seiten, 24.90 Euro, Snoeck Verlag