Groß und leicht zugleich – Kunst aus Natur von Angela M. Flaig

Skulpturenausstellungen stellen Organisatoren und Künstler nicht selten vor logistische Probleme: Skulpturen sind schwer, es sei denn es handelt sich um Kleinplastiken, denen in Fellbach eine eigene Triennale gewidmet ist. Auch die Arbeiten der Rottweiler Künstlerin Angela Flaig sind voluminös, nicht selten zwei Meter hoch, und auch sie bereiten bei Ausstellungen Probleme – allerdings anderer Art als Plastiken aus Stein oder Bronze, denn Angela M. Flaigs Arbeitsmaterial sind Samen. Man hält unwillkürlich den Atem vor ihnen an, denn man muss befürchten, dass sie sich beim geringsten Luftzug in ihre Bestandteile auflösen.

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Distelsäule 2015 © VG Bild-Kunst Bonn 2016

Vor ihrer eigentlichen künstlerischen Arbeit steht der Gang in die Natur, im Frühjahr, wenn die Blüten ihre Samen reif präsentieren, aber noch nicht zu Boden geworfen haben.

Da ist sie in ihrem Element. Das sieht man auch ihrem Garten an: Allein das von ihr angelegte Kräuterbeet ist so groß wie bei anderen der ganze Garten. Und wie es der Zufall so will, sind solche Nutzpflanzen – zum Teil auch weniger bekannte wie Alant – auch für ihre Arbeit zentral.

Angela M. Flaig braucht besondere Samen, nicht einfach Körner, die die Pflanzen zu Boden werfen, sondern Flugsamen wie etwa vom Löwenzahn. In ihrem Gartenhausatelier bewahrt sie sie in großen Kartons auf. 

                                                                                             Löwenzahn 7 x 7. 2007 © VG Bild-Kunst Bonn 2016

Lo¦êwenzahn 7 x 7 (900x900)Aus diesen ganzen Löwenzahnsamenständen – fast komplette Kugeln aus lauter Einzelsamen – gestaltet sie Bilder. Sie werden auf kleine Metallstifte aufgespießt und in Reih und Glied auf Holzplatten gesteckt.

Aber nicht alle geernteten Löwenzahnsamen bleiben als Kugel intakt. Viele sind nicht richtig aufgegangen – oder im Wind zum Teil wieder zerfallen. Aus diesen Einzelsamen entstehen ganz andere Arbeiten, nicht Rasterbilder in Reih und Glied, sondern geradezu luftige, ätherische Gebilde.

Die Gebilde, die Angela M. Flaig aus diesen Samen gestaltet, haben für sie große Symbolkraft. Immer wieder formt sie ähnliche Plastiken. Das Haus steht für Geborgenheit, die Pyramide für den Tod, die Schale für die Empfänglichkeit und Empfängnis. Oft finden sich ihre Arbeiten in Kirchen, denn sie strahlen etwas Introvertiertes, Meditatives aus.

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Flugsamenraum 2015  © VG Bild-Kunst Bonn 2016

Gelegentlich schafft sie ganze Räume, in die man sich zurückziehen kann, wie den „Flugsamenraum“. Und auch die Arbeit mit den Samen hat tiefere Bedeutung, die sich auch dem reflektierenden Betrachter vermitteln dürfte. 

Angefangen hat Angela M. Flaig mit ganz anderen Arbeiten. Sie hat Zellpapier – also Papiertaschentücher – als Ausgangsmaterial genommen, mehrfach gefaltet, bis sich in den Faltungen die Spuren ihrer Finger niedergeschlagen hatten. Wieder aufgefaltet ergaben sich Graphiken der besonderen Art – gewissermaßen Lebensspuren der Künstlerin.

Doch seit dreißig Jahren arbeitet sie fast ausschließlich mit Samen und gestaltet ihre Objekte, die erstaunlich groß werden können. Nicht selten sind solche Gebilde – man kann sie „Plastiken“ nennen oder einfach „Samenobjekte“ – mehrere Quadratmeter groß und bis zu einem halben Meter dick. Und unversehens gerät man vor diesen Arbeiten in erkenntnistheoretische Assoziationen: Die bekannten Verhältnisse von Volumen, Masse und Gewicht haben keine Bedeutung mehr, sie kehren sich geradezu um. Solche metergroßen Objekte – so sollte man meinen – müssten kiloschwer sein und sind doch federleicht. Mehr noch, Angela M. Flaigs Arbeiten sind Reflexionen über das Wesen von Kunst – Kunst kann frei von jeglichem Nutzen sein, reiner ästhetischer Selbstzweck. So meint man, in die erwähnten Schalen etwas füllen zu können, doch weit gefehlt!

Nur eines darf diesen Objekten nicht widerfahren: Starker Druck oder ein kräftiger Windstoß.

Angela M. Flaig. Das Flüchtige ist das Ewige“. Ausstellung in der Galerie im Prediger in Schwäbisch Gmünd 13.2.-29.5.2016

 

Zu Angela Flaig findet sich ein Film auf Youtube von Horst Simschek und mir

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