Sein Atelier sind die Wälder und Felder im Steigerwald, streng genommen sogar die ganze Welt, denn überall auf dem Globus hat er die Materialien gesammelt, die seine Kunst ausmachen. Herman de vries ist gelernter Gärtner – und zugleich einer der begehrten Künstler unserer Zeit. 2015 hat er – viel beachtet – den niederländischen Pavillon auf der Biennale von Venedig gestaltet. Jetzt zeigt die Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen Werke des 1931 in Alkmaar geborenen Künstlers aus drei Jahrzehnten seines Schaffens.
from earth – Deutschland, 2006. Museum für Konkrete Kunst, Ingolstadt. Foto: Helmut Baue
Wenn man aus der Distanz den Blick durch die Ausstellungsräume schweifen lässt, dann meint man, Werke eines geradezu konsequent konstruktivistisch arbeitenden Künstlers vor sich zu haben. Da gibt es zartfarbige Farbflächen in Reih und Glied, da finden sich Skulpturen aus Stein auf Sockeln sowie schmale, unregelmäßige Streifen sorgfältig nebeneinander senkrecht an die Wand gehängt. Doch die „Steinskulpturen“ sind eigentlich nur Steine – unbearbeitet; die schmalen „Streifen“ sind Äste, wie de vries sie in der Natur vorfand, und die Farbflächen hat er mit einem Material gestaltet, das er selbst der Natur abgewonnen hat; es sind Erdabreibungen.
Der gelernte Gärtner und Biologe ist seinem Metier treu geblieben – und hat doch gewissermaßen die Seiten gewechselt. Aus Naturmaterialien schafft er konkrete Kunst. Ordnung ist ein wesentlicher Aspekt dieses Schaffens. Steine werden strikt geometrisch in genau ausgemessenen Feldern auf dem Boden platziert, getrocknete Rosenzweige nebeneinander gehängt, trockene Zweige gerahmt, sodass sie wie abstrakte Graphiken wirken.
die bäume, 1988. Galerie Müller-Roth, Stuttgart. Foto: Andreas Läuble
Zugleich aber konterkariert de vries den Ordnungsaspekt, denn innerhalb der genau abgemessenen Felder auf dem Boden dürfen die Steine von den Kuratoren nach eigenem Gutdünken angeordnet werden. Neben der Ordnung spielt stets auch der Zufall eine wesentliche Rolle in diesem Schaffen, und damit greift de vries zwei Aspekte auf, die auch in der Natur vorkommen, denn so vielfältig und chaotisch die Naturphänomene oft auch wirken mögen, so findet sich auch in der Natur strikt Geometrisches, man braucht sich nur ein Eiskristall näher unter der Lupe zu betrachten.
Und ein Drittes spielt eine wesentliche Rolle. de vries, der seinen Namen klein geschrieben haben will, genießt die Schönheit der Natur. Die kann er in skurrilen Verzweigungen entdecken oder in der Struktur eines alten verwitterten Maulbeerbaumstamms. Und damit wir diese Schönheit auch wahrnehmen, bringt er sie ins Museum, stellt Natur aus, als wäre sie Kunst.
die steine, 1996–2009. Foto: Bruno Schneyer
Ein Stein, auf einem hohen Podest dargeboten, exponiert im wahrsten Sinne des Wortes, erhebt das Fundmaterial zum Museumsgegenstand und erhält, vor eine weiße Wand platziert, geradezu sakrale Ausstrahlung.
Lediglich bei seinen Erdabreibungen greift de vries in die Natur ein, denn während er sonst seine Fundstücke so präsentiert, wie er sie entdeckt hat, reibt er hier die verschiedenen Erden, die er in aller Welt sammelt, auf Papier, als wäre es ein Farbpulver. Aber auch hier ist neben dem Entdecker von Schönheit, dem wissenschaftlichen Sammler von Naturmaterialien auch der Systematiker am Werk. Hinter Glas präsentiert er die Farbmuster auf Papier, über 9000 hat er in diesem „Erdmuseum“ bereits zusammengetragen.
Und damit der Besucher seiner Ausstellungen erkennt, dass diese Wunder der Natur nicht weiter Reisen bedürfen, kreiert er stets auch ein ortsspezifische Arbeit. In diesem Fall ließ er die Mitarbeiter der Städtischen Galerie aus der Umgebung von Bietigheim-Bissingen Erden sammeln, zu Pulver reiben und in Form großer runder Taler auf dem Boden präsentieren, von braun über grau bis magisch grünschimmernd. Es ist die Schönheit der Heimat, die er hier präsentiert bzw. präsentieren lässt, wie man sie sonst auf dem Boden draußen in der Natur nie entdecken würde.
„herman de vries. stein, erde, holz“, Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen bis 8.1.2017