Sie ist ein Wunderwerk – die Hand des Menschen und seines engsten Verwandten, des Primaten. Sie setzt sich aus siebenundzwanzig Knochen zusammen, in beiden Händen befindet sich somit ein Viertel aller im menschlichen Körper, sie verfügt als einzige über einen opponierenden Daumen, der sie zur Greifhand prädestiniert – und entsprechend hoch ist ihr Ansehen. Als Werkzeug aller Werkzeuge lobte Aristoteles sie, als sichtbaren Teil des Gehirns pries Immanuel Kant sie, wie man im vorzüglichen Katalog zu einer Ausstellung von Barbara Renftle in Biberach lesen kann, die aufzeigt, welchen Stellenwert die Hand in der Kunst von heute hat.
Ingeborg Wissel, Skeletthand mit Ehering, 2014 (Detail)
Geradezu mit Röntgenblick hat sich Ingeborg Wissel der Hand genähert und mit präzisem Graphitstrich die komplexe Knochenstruktur festgehalten. Doch weil die Hand auf das Skelett reduziert ist, wirkt diese Zeichnung zugleich wie ein Memento mori. Es ist ein Abgesang auf das Leben, und der am Ringfinger lose baumelnde Ehering verweist auf das Leben, das einst in dieser Hand existiert hat.
Das Gegenteil hiervon entwirft Anne Carnein, die aus Stoff und Draht ein Fingerbündel nach unten hängen lässt und den Begriff „Handwurzel“ sehr individuell deutet. Während anatomisch aus den Handwurzelknochen Mittelhand und Finger entspringen, sprießen bei ihr kleine Pflanzen, die Finger bilden das Wurzelwerk, die Hand wird zum Urquell neuen Lebens.
Diese Kraft, die der Hand eignet, hat Markus Daum im Eisenguss festgehalten. Seine starr nach oben ragenden Hände wirken wie archaische Gebäude aus grauer Vorzeit, mit der braunen Farbe an Lehmgebilde erinnernd, aber wenngleich uralt, so doch unzerstörbar.
Dass man dafür aber auch etwas tun muss, zeigt eine große Plastik von Eckart Hahn. Aus verkupfertem Aluguss hat er einen riesigen Arbeitshandschuh gestaltet, auf dessen Rückseite er die Adern der Hand eingezeichnet hat – eine Trutzburg für ein fragiles Gebilde aus Haut und Knochen –
– ein Gebilde, das freilich gerade wegen seiner Beweglichkeit sehr aussagekräftig ist.
Es kann Dinge tragen, wie Daniel Wagenblast auf spielerische Weise vorführt, der die Hände nicht leer daherkommen lässt, sondern mit Gegenständen, die wie Spielzeug aussehen – eine nackte Puppe, ein Auto, aber auch gefährlichere Utensilien wie Panzer und Pistole, die trotz des Miniaturformats doch eine martialische Ausstrahlung haben.
Dietrich Klinge hat aus Holz Hände geschnitzt, mal steil nach oben gehalten, mal wie eine Schwurhand ausgestreckt – Hände aus Holz, lebendige Organe also aus einem lebenden Material, doch hat er es nicht dabei belassen, er hat von den Holzskulpturen Bronzeplastiken hergestellt, Lebendiges also in Totes verwandelt, und diesen Widerspruch nimmt man mit einiger Beklemmung wahr.
Christina Greenjack, Serie Handabdruck, 2014
Wie lebendig und ausdrucksvoll die Hand ist – sodass man mit ihr geradezu sprechen kann, wie eine Redewendung verheißt – zeigt Christina Greenjack. Sie hat verschiedene Handgesten fotografisch festgehalten, jedoch nicht die der Hand selbst, sondern nur deren Schattenwurf, sodass man sich an Friedrich Wilhelm Murnaus Vampirfilm Nosferatu erinnert fühlt: Die Hand als Symbol des Todes.
Ganz anders dagegen die Zeichnungen mit Handgesten von Martina Staudenmayer. Sie hat Handgebärden aus dem Pflegealltag zeichnerisch festgehalten, auf diese Weise eine Art Gestenalphabet erstellt und so ebenfalls die sprechende Qualität dieses Organs unter Beweis gestellt.
Verzweiflung wiederum drücken Isabell Kamps Hände aus Keramik aus. Sie umklammern den Kopf, wie um unendlichen Schmerz zu verbergen, und die Finger werden gleichermaßen zu Haaren wie zum Gesicht.
Man kann aber auch wie Petra Scheibe Teplitz auf das Anatomische der Hand mit ihren Fingern ganz verzichten und trotzdem der Hand ein Denkmal setzen. Sie hat aus Nagellack kreisrunde farbige Flecken in Reih und Glied aufgetragen – pro Blatt so lange, wie die Farbe reichte. Jedes Blatt ist exakt mit der Farbnuance betitelt und dem Datum des Auftrags – das ist Sinnbild des Lebens und zugleich Symbol der Hand, und der schmückende Nagellack ein Zeichen der Wertschätzung für diesen „sichtbaren Teil des Gehirns“. Es lebe die Hand, in welcher Form auch immer.
„BeHÄNDE. Die Hand als künstlerisches Symbol“, Stiftung BC – pro arte, Biberach, bis 22.11.2019. Katalog 95 Seiten, 8 Euro