Es war noch keine fünfzig Jahre alt, da beschrieben es Zeitgenossen bereits als schimmernden Tempel „mit goldenen Kronen, mit goldenen, silbernen, kristallenen und elfenbeinernen Gefäßen, mit Edelsteinen und seidenen Wandbehängen“. Was nach einem morgenländischen Palast aus 1001 Nacht klingt, befand sich freilich auf der Schwäbischen Alb und war kein heidnisches Schloss, sondern ein katholisches Kloster: Zwiefalten. Noch heute zieht es Tausende von Besuchern an, obwohl es längst nur noch Relikt ist: Das Kloster wurde 1803 im Zuge der Säkularisation aufgelöst, seine Schätze nach Stuttgart verbracht, wo sie zum Teil eingeschmolzen wurden. Was der Zerstörungsarbeit durch die Protestanten entging, befindet sich heute im Besitz der Kirchengemeinde Zwiefalten, ist, von einzelnen Gegenständen, die im Kirchenalltag Verwendung finden, dem Auge der Öffentlichkeit entzogen. Eine Ausstellung im Diözesanmuseum Rottenburg zeigt, wie kostbar die Schätze sind, vor allem aber, was sie über das Kloster aussagen.
Es glitzert und gleißt. Gold und Silber sticht ins Auge, besetzt von kostbaren Edelsteinen. Es wirkt, als wolle ein weltlicher Potentat seine Macht durch eine Zurschaustellung von Glanz demonstrieren, doch im Falle eines Klosters hat eine solche Prachtentfaltung durchaus religiöse Zwecke. Die Staurothek, ein Reliquiar, in dem Teile des Kreuzes Christi ausbewahrt werden, die um 1100 für Zwiefalten angefertigt wurde, besteht aus Goldblech, Schmucksteinen, Perlen, antiken Gemmen sowie Emailmedaillons. Doch dient dieser Materialaufwand einzig und allein darum, einem vom Materialwert äußerst geringen Gegenstand die Wertausstrahlung zuteil werden zu lassen, die ihm gebührt, denn es ist materiell gesehen nichts als ein Holzsplitter, zählt aber im katholischen Glauben zum Kostbarsten, was ein Kloster besitzen kann, stammt es doch dem Glauben zufolge vom Kreuz Christi. Gold und Edelsteine als Fassung sind daher lediglich Ausdruck der Wertschätzung, die der Reliquie gebührt, sind Ausdruck des Glaubens, nicht pure Prachtentfaltung.
Und noch eines macht ein derart opulentes Exemplar deutlich: Zwiefalten hatte von Anfang an reiche Stifter und Gönner, pflegte diese Verbindungen auch und reihte sich damit in die vom Kloster Cluny vorgelebte Tradition ein, durch die Betonung der Liturgie Himmelsnähe anzudeuten und dadurch potente Förderer anzuziehen.
Bei jedem Gegenstand dieses Klosterschatzes gilt es, genauer hinzusehen, die äußerlichen Phänomene auf ihre innere Bedeutung hin zu befragen. Dass ein Codex Illustrationen zum Tode Christi enthält, ist an sich nichts Ungewöhnliches. Zwiefalten, um 1140–1150 © Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. brev. 128
Der Codex, der um die Mitte des 12. Jahrhunderts in Zwiefalten angefertigt wurde, wirkt zudem auf den ersten Blick eher schlicht. Er verzichtet auf strahlend farbig ausgemalte Bilddarstellungen, beschränkt sich auf dünne Linien, doch was er zeigt, ist bemerkenswert. Wir sehen Christus am Kreuz, doch auch wenn der Körper bereits vom Tode gezeichnet ist, ist das Antlitz des Gekreuzigten ungemein lebendig: Christus lebt durch sein Opfer am Kreuz!
Und auch diese Zeichnung offenbart kulturgeschichtliche Hintergründe. Zwiefalten entwickelte um die Mitte des 12. Jahrhunderts eine intensive Auseinandersetzung mit der Christologie.
Ganz anders im Barock. In dieser Zeit tat sich das Kloster vor allem als Hort der Marienpflege hervor – eine geradezu politische Entscheidung, hob sich das Kloster doch damit demonstrativ vom protestantischen Umfeld ab, das der Marienverehrung keinerlei Bedeutung zumaß.
Diese Marienverehrung freilich lässt sich am Kirchenschatz heute nicht mehr ablesen, von ihr ist kein wesentliches Relikt überliefert, denn bereits 1802 wurde das Kloster besetzt, sein Ende besiegelt, und somit auch der Klosterschatz seiner klösterlichen Bedeutung beraubt.
Zwiefalten, vor 1135 © Zwiefalten, Katholische Kirchengemeinde. Foto Joachim Feist
So zählte neben der Staurothek ein Vortragekreuz aus der Frühzeit des Klosters zu den herausragenden Schätzen. Das jetzt in der Ausstellung präsentierte Kreuz hat nicht mehr viel von dem ursprünglichen Erscheinungsbild. Wir sehen die Rückseite; die ungleich üppiger ausgestattete Vorderseite wurde geplündert und ist heute lediglich mit Goldblech abgedeckt.
So zeigt die Ausstellung auch die Kirchengeschichte in Württemberg, die schließlich dazu führte, dass Zwiefalten, einst prunkvollstes Kloster weit und breit, 1812 in eine „königliche Landesirrenanstalt“ umgewandelt wurde. Was vom Schatz übrig geblieben ist, zeugt vom einstigen Rang und macht vor allem deutlich, dass ein Klosterschatz weit mehr ist als eine Ansammlung liturgisch bedeutender Kostbarkeiten; er ist ein Buch, das die Geschichte des Klosters offenbart.
„Dem Himmel ganz nah. Liturgische Schätze aus dem Kloster Zwiefalten.“ Diözesanmuseum Rottenburg bis 2.4.2017. Katalog 14.99 Euro
Hierzu findet sich auf Youtube ein Film von Horst Simschek und mir