Wenn heute ein Student an der Akademie eine Zeichen- oder Malklasse besucht, dann steht ihm als Ausgangsmaterial Zeichenpapier oder Leinwand zur Verfügung. In früheren Jahrhunderten hat man auch auf Holzplatten gemalt. Das alles ist nicht mehr als der Grund, auf dem das spätere Kunstwerk entstehen soll. Der Tübinger Künstler Gerhard Feuchter geht in seinen Arbeiten einen Schritt in diesem Produktionsprozess zurück. Er bemalt nicht fertiges Papier – er stellt sein Papier erst einmal her, nach Jahrhunderte alten Verfahren – und weil das Papier, das er dabei erhält, nichts mit dem zu tun hat, was man im Handel erwerben kann, sehen auch seine Arbeiten, die er aus diesen Papieren herstellt, anders aus als herkömmliche Zeichnungen.
Vor dem Atelier von Gerhard Feuchter befindet sich ein kleiner überdachter Vorplatz. Bei einem Rentner würde man sagen: eine kleine Laube für milde Sommerabende, für Gerhard Feuchter aber ist das ein Arbeitsplatz. Hier wirft er in mit Wasser gefüllte Eimer oder Bottiche Papierstücke oder auch kleine -schnipsel, und was er dann mit einem Quirl an einem langen Stab tut, erinnert eher an einen Heimwerker als an einen Künstler: Er psannt einen Quirl in eine Bohrmaschine, befestigr alles an einem Tisch und lässt dann den Quirl mehrere Stunden in einem darunter stehenden Eimer mit Wasser und Papierschnitzeln rotieren.
Feuchter nimmt sich als Ausgangsstoff nicht fertige, im Handel erhältliche Materialien wie etwa Papier und Leinwand zum Bemalen, Feuchter stellt alles selbst her, auch die Grundmasse für sein Papier. Nach langem Rühren erhält er einen dicklichen Brei, die Pulpe, und dann schöpft er es in Siebe, an denen außen ein kleiner Rahmen angebracht ist, damit der Papierbrei nicht abläuft, sondern nur das Wasser abtropfen kann. Danach wird die feuchte Masse auf Tücher gebreitet, bei Bedarf auch gepresst, bis die Masse trocken ist; daher wählt Feuchter für diese zeitraubende, aber zugleich auch sehr besinnliche Tätigkeit den Sommer, im Atelier innen würde es viel länger dauern, aber die Zeit ist für ihn ein wesentlicher Aspekt, denn während des Trocknens vollzieht sich in der ausgeschöpften Masse ein natürlicher Vorgang; für Feuchter ist er Bestandteil des späteren Kunstwerks, das am Ende eines langen Prozesses steht.
Feuchter setzt mit diesem zunächst rein handwerklichen Vorgehen einen bewussten Gegenpol zu unserer Zeit, in der alles möglichst perfekt, schnell, industriell hergestellt wird. Daher verwendet er für seine Rohmasse auch nicht mehr industriell gefertigtes Papier, denn das ist für seine Zwecke längst viel zu künstlich. Aber das Ausgangsmaterial muss nicht zerkleinertes Papier sein, bei ihm kann nahezu alles zu Papier werden, alles, was aus Fasern besteht. In frühen Jahren hatte er auch Pflanzenreste vom Rasenmähen verwendet und stellte sich damit in die Tradition der Ostasiaten, die oft Gräser und Blätter zur Papierherstellung verwendeten, während in Europa im Mittelalter alte Lumpen als Rohmaterial dienten. Selbst aus Banenschalen hat er bereits Papier hergestellt, das freilich bei ihm fast immmer ungleich dicker ist als Zeichenpapier, und vor allem gröber. Feuchters Papiere haben Charakter, Individualität.
Auf die Idee, Papier selbst herzustellen, kam er bei einem Lehrauftrag in den USA. Dort hatte ein Professor seinen Studenten erst gezeigt, wie man Papier herstellt, ehe sie darauf zeichnen durften. Seitdem arbeitet Feuchter fast ausschließlich mit selbstgemachten Papieren, wobei Papier eine grobe Untertreibung ist, denn mit unserem üblichen Schreib- oder Zeichenpapier haben seine Blätter nichts zu tun: Sie sind manchmal bis zu einem Zentimeter dick, sehr grob und wirken von der Oberfläche her nicht selten wie die Kraterlandschaften ferner Planeten. Er könnte sie bereits so belassen, zumal er sich bereits beim Gießen Gedanken über die spätere Form macht, daher verwendet er beim Gießen häufig runde oder dreieckige Siebe. Und dann greift er zum Messer, ritzt in die Oberflächen, schneidet Teile daraus aus. Das ist kein Arbeiten auf Papier, sondern mit Papier. Das Resultat sind nicht selten archaisch wirkende Reliefs oder gar Skulpturen, die er dann sparsam mit dem Pinsel bearbeitet.
Hier lässt er sich dann nicht selten von der Literatur inspirieren, so erweckt er in einer Arbeit mit einer schlichten Zackenlinie den Eindruck einer Treppe, an deren Ende ein schlichtes Haus in die Höhe ragt – Reflex auf ein Hölderlinzitat.
In einem größeren Zyklus zu Franz Kafka hat er symbolisch den Übergang von dessen bürgerlicher Existenz als Versicherungsbeamter zum Dichter surrealer Welten nachvollzogen. Am Anfang sehen wir – stellvertretend für die bürgerliche Existenz zwei ineinander verschränkte Mäntel, spätere mutieren diese Formen zu einem Käfer – Gregor Samsa lässt grüßen. Immer aber ist unverkennbar, dass das Grundmaterial eine Art Papier ist – oder Pappmaché, ein grobes Papier, das eigentlich das Grundmaterial für einen Bildhauer ist – und auch als solcher hat Feuchter sich schon betätigt – sehr zur Verblüffung der späteren Kunstbetrachter, denn letztlich ist alles nichts als altes, recyceltes Papier.
Zu Gerhard W. Feuchter haben Horst Simschek und ich einen Film auf Youtube veröffentlicht