Geometrische Körper aus Samen – ätherische weißliche Luftgebilde, die beim leisesten Lufthauch zu zerfallen drohen auf der einen Seite. Baumstämme mit der Kettensäge bearbeitet, zerlegt in lauter Einzelteile, schwarz bemalt, dass man die Maserung des Holzes kaum mehr erkennen kann auf der anderen Seite. In der Zehntscheuer Rottenburg begegnen sich mit Arbeiten von Angela M. Flaig und Armin Göhringer Gegensätze, wie sie krasser kaum sein könnten, und dennoch entstand eine Ausstellung von faszinierender Geschlossenheit.
Angela Flaig, Schalen
Ihre Objekte können bis zu zwei Metern groß sein – und wiegen doch nicht viel mehr als ein paar hundert Gramm. Die Arbeiten von Angela Flaig bringen unser Wahrnehmungssystem ins Wanken. Denn wir sind gewohnt, von Volumina auf Massen zu schließen, von Massen auf Gewicht. Ein Gegenstand von bestimmter Größe evoziert die Vorstellung von einem gewissen Gewicht. Vor Angela Flaigs Arbeiten erweist sich diese Seh- und Denkgewohnheit als Illusion.
Normalerweise würde man Arbeiten von beträchtlicher Größe wie etwa einen hüfthohen Kegel „Skulptur“ nennen, aber der Begriff „Skulptur“ kommt vom Lateinischen „sculpere“, das heißt auf Deutsch „schnitzen“. Hier aber ist nichts geschnitzt, denn Schnitzen hieße ja, von einem Steinblock oder einem Stück Holz etwas abnehmen! Auch „Plastik“ wäre der falsche Begriff, denn dieses Wort leitet sich vom Französischen her, vom Adjektiv „plastique“, das heißt „formbar“. Aber auch das trifft auf diese Arbeiten nicht zu, denn die Samen, aus denen die Arbeiten bestehen, werden ja nicht deformiert.
Versucht man also, die Arbeiten von Angela Flaig irgendwie einzuordnen, gerät man ebenso schnell an Grenzen wie bei dem Versuch, Größe und Gewicht miteinander in gewohnte Relationen zu bringen. Angela Flaigs Arbeiten lassen sich eben nicht einordnen, sie sind singulär.
Am treffendsten lassen sich ihre Arbeiten als „Samenobjekte“ bezeichnen. „Samen-Objekt“ – das ist die Verbindung zweier sehr unterschiedlicher Vorstellungen. Auf der einen Seite die reine Natur – und bei Natur denken wir an Wachsendes, sich Veränderndes, an etwas Lebendiges. Ein Objekt dagegen ist etwas Geronnenes, Starres, Totes. Genau diese Verbindung zweier gegensätzlicher Vorstellungen aber stellt Angela Flaig her: Sie könnte aus den Samen ja ohne weiteres organische Formen aufbauen – unregelmäßige, der Natur nachempfundene. Sie aber gestaltet aus den Samen fast durchweg reine Geometrie – einen Kegel zum Beispiel, eine Pyramide, ein Haus – Gebilde mit Symbolkraft. Die Pyramide ist ein Symbol – für das Lebensende, für Bestattung, für das Grab. Ein Haus steht symbolisch für Heimat, Geborgenheit, Sicherheit. Und ein Same ist ja nicht irgendein Objekt, er ist eine Urquelle, aus winzigen Samen können riesige Bäume entstehen, ein Same enthält künftiges Leben.
Vor diesen Arbeiten gerät man ins Staunen – wie etwas so Großes so leicht sein kann, etwas Künstliches aus reiner Natur bestehen kann, ein Haufen, der aussieht wie ein quirliger Bienenschwarm, eine so große Ruhe ausstrahlt, und wie fragile Gebilde doch so stabil sein können, dass sie Jahre überdauern.
Insofern hätte die Ausstellung keinen besseren Titel haben können, nur dass sich die Reihenfolge der Begriffe bei Armin Göhringer umkehrt:
Nicht „Fragil – Stabil“, sondern „Stabil – Fragil“, und nicht nur in dieser Umkehrung haben wir es mit einer ganz anderen Künstlermentalität zu tun. Angela Flaig setzt ihre Arbeiten in einer Synthese zusammen, Armin Göhringer dagegen arbeitet wie ein traditioneller Holzbildhauer, indem er von einem Holzstamm etwas wegnimmt – mit der Kettensäge. Insofern könnte es kaum gegensätzlichere Künstlertypen geben als Angela Flaig und Armin Göhringer. Sie baut aus feinsten, fragilsten Samen große Objekte auf, er reduziert dicke, stabile Baumstämme zu manchmal erstaunlich kleinen Objekten – vor allem Gebilde, die Rätsel aufgeben, denn zwischen den soliden Holzsockeln und durchaus schweren Holzklötzen am oberen Ende der Skulpturen finden sich dünne Streben.
Und schon muss man den ersten Eindruck von diesen Plastiken revidieren. Stabil mögen die Holzklötze sein – die Sockel und die oberen Gebilde -, doch das, was die oberen Klötze trägt, wirkt alles andere als stabil. Armin Göhringers Plastiken sind äußerst fragile Gebilde aus stabilem Material. Die duftigen hellen Gebilde von Angela Flaig und die schwarzen, massiv wirkenden Skulpturen von Armin Göhringer sind einander näher verwandt, als der erste Blick verrät.
Was wir hier vor uns haben, ist tatsächlich ein einzelner Baumstamm, allerdings so radikal mit der Kettensäge bearbeitet, dass nur noch das Nötigste stehen geblieben ist – will heißen: soviel wie nötig ist, dass die Teile noch einen Zusammenhalt aufweisen. Armin Göhringer stellt den Holzstamm gewissermaßen auf die Probe, er geht bis zum Äußersten. Göhringer testet die Widerstandskraft seines Materials bis an die Grenzen aus – und transformiert dabei dieses Material.
Armin Göhringers Skulpturen sind voller Durchblicke, manchmal bleibt nicht viel mehr von einem großen Stück Holz übrig als eben ein Fenster.
Armin Göhringers Arbeiten sind streng genommen keine Holzskulpturen, es sind Zeichnungen im Raum. In der Ausstellung findet sich eine Arbeit, bei der vom Baum nicht mehr übrig geblieben ist als ein Gitter oder ein grobmaschiges Netz.
Diese Skulpturen sind genau genommen Widersprüche in sich – ähnlich wie die Arbeiten von Angela Flaig. Sie vereinen Fragilität und Robustheit, sie sind grob und zugleich filigran; beide arbeiten mit Natur, beide offenbaren Kräfte und Möglichkeiten des Naturstoffes und transzendieren sie zugleich. Beide arbeiten mit vertrauten Wahrnehmungsmustern – und stellen sie durch ihre Arbeit zugleich in Frage. Beide hinterfragen mit ihren Arbeiten so vertraute Begriffe wie fragil oder stabil.
„Fragil – stabil. Angela M. Flaig – Armin Göhringer“. Zehntscheuer Rottenburg bis 17.4.2016