Es gibt verschiedene Arten, Kunst zu sammeln. Da sind auf der einen Seite die Spezialisten, sie widmen sich ganz einer Epoche, einer Kunstgattung oder -strömung wie etwa die Sammlung Kraft, die sich ganz auf die deutsche Pop Art konzentriert und derzeit in der Städtischen Galerie in Villingen-Schwenningen zu sehen ist. Und es gibt jene Sammler, die aus innerer Neigung Einzelwerke sammeln. So das Ehepaar Klein, dessen Sammlung derzeit in einer Auswahl im Kunstmuseum Stuttgart präsentiert wird. Die Gefahr einer solchen Ausstellung besteht darin, dass der Besucher mit einer divergenten Vielzahl von Werken konfrontiert ist, die ausschließlich die Vorlieben der Sammler verraten. Das trifft in diesem Fall durchaus zu, und doch hat das Kunstmuseum diese Gefahr souverän vermieden durch eine raffinierte Hängung und die Tatsache, dass von den Künstlern jeweils mehrere Werke ausgestellt werden.
Die größte Arbeit in dieser Präsentation, die zugleich den längsten Titel hat, scheint geradezu für Sammler konzipiert. Ensemble mit Dekor (Über den Umgang mit Menschen, wenn Zuneigung im Spiel ist) – Dekor mit Birnen, Birken und Rahmen. Ersetzt man das Wort „Menschen“ durch das Wort „Kunst“, träfe er ideal auf das Sammlerehepaar zu. Blau hat Anna Oppermann diesen Titel über ihre Installation geschrieben, die aus unzähligen Details besteht: Zeichnungen, Schriftkärtchen, Fotos und natürlich Birken und Rahmen. Die Installation wirkt wie ein privater Schrein – Erinnerungsarbeit einer Künstlerin.
Dieser Aspekt der Erinnerung setzt sich beim zweiten Künstler in diesem ersten Ausstellungsraum fort. Anselm Kiefers Werk ist ein Memento mori, ein Aufruf, die Vergangenheit nicht zu verdrängen, vor allem die düstere des 20. Jahrhunderts. Grautöne beherrschen seine Arbeiten, Materialien wie Blei Haare, Kohle, Holz ergänzen die meist dick aufgetragenen Farbschichten. So schält sich aus einem zunächst abstrakt wirkenden Bild eine Art Totenlandschaft heraus im Fall eines Gemäldes zu einem Zitat von Velimir Chlebnikov eine tosende, todbringende Seelandschaft. Angstgefühle kommen im Betrachter auf, Trauer, Elegie. Und das findet sich auch beim dritten Künstler in diesem Raum: Florian Heinke hat mit schwarzer Farbe auf Leinwand die Assoziation an ein altes Foto kreiert, das Porträt eines weinenden Jungen, darüber in Frakturschrift das Wort „Heimat“.
Betroffenheit ist eine Kategorie, der man in dieser Sammlung häufig begegnet. Chiharu Shiota hat in ein Gespinst aus schwarzen Fäden ein weißes Kleid gezwängt – die Kleidung ist noch da, der Mensch nicht mehr, und die schwarzen Fäden evozieren das Thema Tod.
Es ist außerdem eine Arbeit, die die Kunstgattungen transzendiert, denn auch wenn es eine raumgreifende Arbeit ist wie eine Plastik, ist es doch durch die schwarzen Fäden zugleich eine Zeichnung. Viele Arbeiten in dieser Sammlung überschreiten die traditionellen Gattungsgrenzen. So arbeitet Thomas Müller mit der Linie, einem grundlegenden, sehr reduzierten Ausdrucksmittel, doch legt er sie in vibrierenden Wirbeln derart über das Papier, das sich vor dem Auge der Eindruck dreidimensionaler Gebilde auftut. Sean Scully wirkt wie ein konstruktivistischer Künstler mit seinen Bildern aus Streifen und Gittern, doch zugleich bringt er in die oft so geometrisch klare Kunst Expression ein, persönliche Handschrift.
Und bei Karin Kneffel weiß man oft nicht, was man eigentlich sieht: Einen Museumsraum oder ein abstraktes Farbgewusel. Die Antwort: Es ist der Blick in einen Museumsraum durch eine von Regen benetzte Glasscheibe. Der Betrachter wird verunsichert, beginnt, seine anfänglichen Hypothesen ständig zu hinterfragen.
Auch das ist ein Aspekt, der sich häufig in dieser Sammlung findet. Gottfried Helnwein konfrontiert auf einem Gemälde ein kleines Mädchen, das traurig aus dem dunklen Bildhintergrund hervorschaut, und eine unscharfe, rot übergossene Figur – sieht das Mädchen hier in die eigene schreckliche Zukunft?
Die Kunst, die das Sammlerehepaar Klein fasziniert, ist stets vielschichtig, schwer zu deuten, rätselhaft. Inhaltliche Enigmatik vereint sich nicht selten mit Grenzüberschreitungen. Ann-Kathrin Müller hat sich der Schwarzweiß-Fotografie verschrieben, einem Medium, das die Vorstellung nüchterner Faktenwiedergabe evoziert, Dokumentarfotografie. Doch rückt sie den Objekten, die sie mit der Kamera festhält, derart dicht auf den Leib, dass die Ausschnitte kaum mehr ahnen lassen, was genau da gezeigt wird.
Ihr Kollege Gregory Crewdson gestaltet für seine Farbfotos Szenen, die aus amerikanischen Filmen stammen könnten, Krimis, Psychogramme, bei denen in einem Fall eine Frau auf einem Bett liegt und zu schlafen scheint, daneben ein Mädchen wie eine unwirkliche Lichtgestalt auf einem zweiten Bett sitzt: Traumvision? Wunschbild? Erinnerung an einen Verlust? Auf einem anderen Bild steht in einer amerikanischen Kleinstadt auf der ansonsten menschenleeren Straße ein alter Mann, der offenbar nicht weiß, warum er da ist,. wohin er gehen soll.
Der Gang durch diese Ausstellung stürzt den Betrachter in Unsicherheit, wirft Fragen auf, die unterschiedliche Antworten ermöglichen. Es scheint, dass Kunst für dieses Sammlerehepaar vor allem ein Medium ist, das Reflexion erzwingt, Überprüfung festgefahrener Gedankenmuster, und zugleich immer auch Faszination hervorruft angesichts der künstlerischen Brillanz; es ist Kunst, wie sie sein sollte: ästhetisch aufregend, formal kreativ, Fragen stellend statt Antworten vorgebend – alles in allem also aufklärerisch in des Wortes bester Bedeutung.
Über den Umgang mit Menschen, wenn Zuneigung im Spiel ist. SAMMLUNG KLEIN. Kunstmuseum Stuttgart bis 5.11.2017. Katalog 159 Seiten 25 Euro