Als Kasimir Malewitsch 1915 sein Schwarzes Quadrat auf weißem Grund malte, drang er zu einem Nullpunkt der Malerei vor. Jeder Verweis auf eine Welt außerhalb des Bildes war beseitigt, es galt nur noch die Bildfläche als solche. Die extreme Reduktion auf eine Farbe hat seither die Maler immer wieder fasziniert, doch nicht immer hieß monochrom einfarbig, wie Ad Reinhardt fünfzig Jahre nach Malewitsch mit seinen Black Paintings zeigte, die eine Vielzahl an Schwarztönen enthielten. Die Farbfeldmalerei der 50er Jahre brachte dann die Farbe zum Schwingen, ließ sie eins werden mit dem Farbträger, der Leinwand. Das alles kann einem in den Sinn kommen, setzt man sich mit den Gemälden des Engländers Jason Martin auseinander. Seit zwanzig Jahren begnügt er sich meist mit einer Farbe pro Bild und wird daher gern ins Lager der Monochromen gestellt. Eine Ausstellung im Sindelfinger Schauwerk zeigt, wie wenig diese Einordnung seinem Werk gerecht wird.
Jason Martin reichte ein dunkles, leuchtendes Rot, als er 2003 dieses Bild malte, doch ein monochromes Bild ist es keineswegs. Bei Martin ist nicht entscheidend, welche Farbe er auf den Grund aufträgt, sondern wie er es tut. Ob mit Bürsten, eigens von ihm hergestellten Pinseln oder Rakeln – stets bringt er Geschehen in die Farbe ein. Die Bildfläche setzt sich zusammen aus dem Farbmaterial und den Spuren der Farbbearbeitung. Martin malt nicht mit jeweils nur einer Farbe (und auch das stimmt nicht, es gibt durchaus auch Bilder, bei denen er zwei Farbschichten aufträgt), Martin arbeitet mit der Farbe, und die Spuren dieser Arbeit sind wesentlicher, wenn nicht gar wesentlichster Bestandteil seiner Bilder.
Auf diese Weise durchbricht er die Monochromie, obwohl er fast durchweg bei einer einzigen Farbe bleibt. Martins Bilder wirken nicht durch die Malerei an sich, sie wirken stets im Verein mit dem Umfeld, und das ist in erster Linie das Licht. Wenn er die Farbe in ruhigen, aber durchaus dramatischen Schwingungen über die Fläche verteilt, dabei zum Teil tiefe Rillen in das dick aufgetragene Pigment ritzt, gibt er dem Licht Gelegenheit, an seinem Gemälde mitzuwirken. Martins einfarbige Flächen sind nie ruhig, gelassen, sie vibrieren, sie changieren, sie zeigen, wie Licht mit Farbe eine Einheit eingeht. Martins Malerei ist hochphilosophisch, denn sie macht dem Betrachter augenfällig, dass Farbe ohne Licht nicht existiert, sondern erst durch entsteht.
Martin zeigt auch, dass Farbe stets auf den Farbträger reagiert. Leinwand als Malgrund verbietet sich bei diesem vehementen Umgang mit dickflüssiger zäher Farbpaste. Jason bevorzugt Aluminium und zeigt so, dass selbst dicke, farbundurchlässige Farbe mit dem Untergrund eine Einheit eingeht. So kann Schwarz bei ihm geradezu gleißend strahlen. Was undurchdringlich wirkt, bekommt Transparenz.
Vor allem machen Martins Bilder deutlich, dass Malerei keineswegs in sich ruhend ist, sie bedarf der Mitarbeit des Auges. Von vorn betrachtet wirken seine Bilder tatsächlich auf den ersten Blick monochrom, doch geht man nur wenige Zentimeter nach rechts oder links, enthüllen diese Bilder Inhalte, die hochdramatisch wirken können. Da wird ein Weiß plötzlich zu einem Strahlenkranz, Bildflächen entfalten ein florales Eigenleben, die Einfarbigkeit wird vielfarbig.
Martins Bilder, bei deren Herstellung soviel körperliche Energie aufgewendet werden muss, tragen diese Tätigkeit in die Betrachtung hinein. Sie erfordern einen Betrachter, der seinen Standort ständig ändert. Diese Bilder erhalten geradezu kinetische Qualität, obwohl die Farbe doch dick geronnen ist, allein durch die Aktion des Gegenübers.
Insbsondere bringen sie dem Betrachter plastisch nahe, dass Malen ein handwerklicher Akt ist; Martin vereint die Introvertiertheit der monochromen Malerei mit dem Aktionismus eines Jackson Pollock. Das zeigt sich vor allem in den Arbeiten der letzten Jahre. Die Farbe wurde immer dicker; hatte Pollock seine Farbe tröpfeln lassen, trägt Martin sie mit der Hand dick auf. Farbwülste entstehen, die Materie Farbe wird als Gestaltungsmittel unübersehbar.
Hier wird nicht mit Farbe gemalt, hier wird mit Farbe gearbeitet, hier ist das Farbmaterial das Ausdrucksmittel. Auf diese Weise bekommen seine neuesten Bilder eine ganz andere „Beweglichkeit“ als seine früheren, mit dem Rakel gestalteten. Hier wird Farbe zum dreidimensionalen Stoff, die Bilder werden zu Materialbildern, deren einzige Substanz eben Farbe ist. Die glatte Fläche, die früher durch die Lichteinwirkung aufgebrochen wurde, wird jetzt vollends zum Relief. Das Bild als zweidimensionale Fläche ragt als Plastik in den Raum. Das Bild wird zur Farblandschaft – und damit fast schon konkret.
Martin ist ein Künstler der Gegensätze: Er geht vom Farbfeld aus und überwindet doch zugleich dessen Flächigkeit, er bearbeitet die Bildfläche und geht doch zugleich über sie hinaus, er zeigt, dass Farben dreidimensional, Bilder räumlich sein können, er bringt Introvertiertheit und Extrovertiertheit zur Synthese und macht wie kaum ein anderer Maler deutlich, dass Bilder einen Betrachter brauchen, dass erst der Betrachter Bilder vollendet und weiterführt, zum Leben bringt, und dass es nicht nur eine Bewegung in der Malerei gibt, sondern auch eine Bewegung, die durch den Betrachter hervorgerufen wird. Seine Bilder sind geronnene Farbe, die durch den Betrachter lebendig wird.
„Jason Martin. Werke 1997-2017. Schauwerk Sindelfingen bis 28.1.2018