Sie wollten zu neuen Ufern aufbrechen, die Künstler, die sich 1905 unter dem bezeichnenden Namen „Die Brücke“ zusammenschlossen. Sie begehrten gegen die Konventionen auf, wollten spontan malen. Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmitt-Rottluff waren Gründungsmitglieder, ein Jahr danach stieß Max Pechstein zu ihnen, eigentlich ein Fremdkörper, denn er war der einzige akademisch ausgebildete Brückekünstler. Das Kunstmuseum Ravensburg widmet ihm jetzt eine Ausstellung: „Max Pechstein. Körper, Farbe, Licht“.
Eigentlich hätte Pechstein gar nicht zur Künstlergruppe der Brücke gehören dürfen, denn die übrigen Mitglieder wie Erich Heckel, Karl Schmitt-Rottluff oder Ernst Ludwig Kirchner waren keine gelernten Maler, ja sie lehnten eine akademische Ausbildung strikt ab, weil sie den natürlichen spontanen Ausdruck verhindere. Pechstein aber hatte eine akademische Ausbildung durchlaufen – als Dekorationsmaler. Ein großes Foto in der Ausstellung gibt eine Wandgestaltung wieder, und diese Ausbildung hinterließ auch Spuren in seinem frühen malerischen Werk. Das früheste Bild in dieser Ausstellung aus dem Jahr 1906 zeigt einen Frauenkörper vor einem Hintergrund, der eine Wiese sein könnte, aber auch ein farbenfroher Teppich. Umrahmt ist dieser Frauenkörper von zwei verzierten Säulen. Da zeigt sich der Dekorationsmaler ebenso wie der Jugendstil, der den frühen Pechstein beeinflusst hatte.
Doch schon drei Jahre danach hatte die expressionistische Malweise Pechstein in ihren Bann gezogen. In kräftigen Farben porträtierte er 1909 zwei tanzende Frauen, und der Tanz in allen seinen Spielformen bis hin zur Revue sollte ein wichtiges Thema für ihn bleiben – wie auch für seine expressionistischen Künstlerkollegen. Im Tanz fand für sie der Körper seine vollendete Ausdruckskraft, und auf den Körper kam es diesen Künstlern an. Nacktheit war für sie geradezu ideologisches Programm. Alles wollten sie von den Zwängen der Gesellschaft befreien, vor allem den Körper, und so arbeiteten sie gern an den Moritzburger Seen, wo sie auch badeten – nackt versteht sich.
Blickfang im ersten Ausstellungssaal ist ein Gemälde mit einem großen Frauenkörper. Nackt liegt er lässig hingestreckt in einer kleinen Waldlichtung. Das Bild wirkt eher wie eine Ölskizze als wie ein bewusst komponiertes Gemälde, der Körper ist mit dicken Strichen angedeutet – ein Bild wie es typischer für den Expressionismus nicht sein könnte, denn diese Künstler strebten ja eine von aller Akademielastigkeit befreite, spontane Kunst an. Befreit von jeder Kleidung war der Körper für diese Künstler zugleich auch befreit von allen Konventionen.
Pechsteins Frauenakt ist ein vollendetes expressionistisches Gemälde, nicht nur von der Malweise her. Körper und landschaftliche Umgebung gehen in dieser Komposition eine nahtlose Verschmelzung ein, der Bach hinter der Nackten schmiegt sich der Rückenlinie des Körpers an, die Bäumen neigen sich einander zu und bilden ein schützendes Dach, das ist die Ideologie vom Körper in der Natur, die diese Künstler propagierten. Trotzdem unterschied er sich auch von seinen Kollegen, wie das Bild mit dem Frauenkörper ebenfalls zeigt. Pechstein verarbeitete darin die unterschiedlichsten kunsthistorischen Anspielungen – von Goyas nackter „Maja“ bis zu Edouard Manets „Olympia“.
Die Vision vom Menschen in einer unverfälschten Natur hoffte Pechstein in der Südsee verwirklichen zu können. Dorthin reiste er mit seiner Frau Lotte für zwei Jahre, da hatte er sich längst mit seinen Kollegen von der Brücke überworfen, weil er allein an einer Ausstellung der Neuen Secession in Berlin teilgenommen hatte, die Brückekünstler aber nur geschlossen als Gruppe auftreten wollten.
In Palau in der Südsee schuf er ganz neue Bilder. Die nackten Eingeborenen, die er auf seinen Bildkompositionen auf der Leinwand festhielt, sind nicht mehr Körperporträts, sondern die Gemälde zeigen Figuren, die eher an die Holzplastiken der Eingeborenen erinnern, die er in Völkerkundemuseen in Deutschland studiert hatte.
Diese Bilder führten schließlich zu einem Spätstil, der fast in der Abstraktion endete. Da brachte er Figuren auf die Leinwand, die farblich mit der Umgebung harmonieren und wie Skulpturen wirken. Derweil war sein Kollege Erich Heckel nach dem 2. Weltkrieg immer noch dem expressionistischen Malstil verhaftet und schuf eher harmlose Blumenstillleben. Pechstein hatte sich längst vom Expressionismus seiner frühen Jahre getrennt. Er war eben doch, das zeigt diese Ausstellung, trotz seiner vorübergehenden Zugehörigkeit zur Brückegruppe, ein völlig eigenständiger Künstler mit einem ganz eigenen Weg, den er konsequent verfolgte.
„Max Pechstein. Körper – Farbe – Licht“, Kunstmuseum Ravensburg bis 10.4.2016. Katalog zur Ausstellung 111 Seiten 28 Euro
Horst Simschek und ich haben zu dieser Ausstellung einen Film gedreht, zu sehn bei Youtube