Was internationale Geltung betrifft, taten sich deutsche Künstler eher schwer. Ein Albrecht Dürer war europaweit bekannt, Hans Holbein d.J. wirkte am englischen Hof, Adam Elsheimer feierte in Rom Triumphe, doch das alles ist Jahrhunderte her. Ein Grund mag die deutsche Kleinstaaterei sein, die verhinderte, dass sich Kunstzentren vom Range eines Paris im 19. und frühen 20. Jahrhundert etablierten oder New York in den Jahrzehnten danach. Vier Künstlern unserer Gegenwart allerdings gelang der Sprung in die Internationalität, einer von ihnen führt sogar seit Jahren die Rankingliste der teuersten Maler der Welt an: Gerhard Richter. Er bekam neben Georg Baselitz, Anselm Kiefer und Sigmar Polke weithin beachtete Ausstellungen in den USA in renommierten Instituten. Die Staatsgalerie Stuttgart untersucht nun in einer Ausstellung deren Anfänge.
Es war nicht leicht für einen jungen Künstler, wenn er in den 60er Jahren Maler werden wollte. Grenzen wurden eingerissen, die informelle Kunst dominierte die Kunstwelt, das aber schon über zehn Jahre lang. Kunst wurde zum Event, zum Happening, das gute alte Tafelbild war passé. Georg Baselitz, Jahrgang 1938, aber wollte malen, und zwar nicht abstrakt, sondern gegenständlich, und er tat es mit Verve, vielleicht auch mit Wut im Bauch, auf jeden Fall mit einem Schuss Revoluzzertum im Kopf. Er malte „Helden“, aber keine siegreichen, sondern Gestalten, die in braunen Armeemänteln eher heruntergekommen wirken, die keinen Sinn, kein Ziel sehen und sich an ihrem Geschlecht vergreifen. Das alles ist in hochexpressiver Manier auf die Leinwand gebracht und erregte inhaltlich Aufsehen. Dann hinterfragte Baselitz die Bildinhalte, auch den Bildbegriff. Er schuf Bilder, die wie Collagen wirken, als seien sie auseinandergerissen und wieder zusammengefügt worden. So behielt er den gegenständlichen Inhalt und lenkte den Blick zugleich auf die Machart, spricht die reine Malerei, und das erst recht, als er seine Motive auf den Kopf stellte. Das alles waren Versuche eines jungen Mannes, das gemalte Bild zu retten in einer Zeit, die dem entgegenstand.
Vor demselben Problem stand Gerhard Richter, Jahrgang 1932. Er griff zu vorgefertigten Bildern, Fotos in Zeitschriften, und malte sie übergroß ab, in Grau, wie die Zeitschriftenfotos meist waren. Auch bei ihm finden sich Anklänge an die Gesellschaft, doch nicht, wie bei Baselitz, im Rückgriff auf den beendeten Krieg; er malte Familienszenen, seine eigenen Verwandten, und obwohl die zum Teil eine braune Vergangenheit hatten, interessierte er sich ausschließlich für die Malerei, eine brillante Malerei. So kombinierte er bei Schloss Neuschwanstein nach einem Titelfoto in der Zeitschrift Stern Zeichnung, Malerei, von der auch Spritzer stehenblieben, und abstrakte Farbwolken.
Durch die „Vergrößerung“ der kleinen Fotos, die in der Ausstellung den Gemälden zum Teil beigegeben sind, werden die Bilder unscharf, sie rücken den Blick weg vom Motiv, hin zur reinen Malerei wie bei Baselitz, wenn auch ganz anders. Das gegenständliche Motiv war wieder beibehalten, die Wirkung fulminant. Als er dann scheinbar abstrakte Bilder malte, blieb er dennoch bei seinem Prinzip, denn die Farbtafeln sind abgemalte Mustertafeln eines Malbetriebs. Alles konnte zum Motiv werden, das Familienfoto, eine weidende Kuh, eine Farbtafel …
So auch bei dem fast zehn Jahre jüngeren Sigmar Polke. Er malte Würstchen, erhob einen Schrank mit zwei Türen zum Malmotiv und zerlegte Figurenszenen in lauter Rasterpunkte, als wären es überdimensional vergrößerte Zeitungsfotos. So geriet er fast an die Grenze zur abstrakten Malerei, ohne doch das Motiv aus den Augen zu verlieren. Ja er propagierte geradezu die These des „anything goes“: Alles konnte zum Bild werden – beliebte Reiseziele, elegante Reiher, aber auch ein paar Linien, die er dann mit Moderne Kunst betitelte. Alles wurde von ihm hinterfragt und mit Ironie zum Bild gemacht, selbst der Begriff des Genies, das seine Bildeingebung aus numinosen Bereichen erhält. So malte er sein Bild: Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!
Sehr viel politischer ging Anselm Kiefer zu Werke. Er porträtierte sich an verschiedenen Orten Europas mit dem Hitlergruß, nicht als Verherrlichung der Geste, sondern als Selbsterfahrungstrip, um zu sehen, wie er sich dabei gefühlt hätte.
So entstanden ironische Auseinandersetzungen mit „Heroischen Sinnbildern“, und diese Beschäftigung mit der deutschen Vergangenheit und Ideologie findet sich auch in seinen Dachbodenbildern, wo er den Prinzipien Glaube, Hoffnung, Liebe nachspürte oder mit einer Ansammlung von Köpfen deutscher historischer Größen den Gedankenhimmel der Deutschen in geballter Konzentration ins Bild setzte, in dem sich der Aufklärer Immanuel Kant ebenso findet wie der Dichterkultstar Stefan George.
Das alles ist faszinierend anzusehen, und bei Baselitz kann man sogar die Entwicklung hin zu seinem „Markenzeichen“, den auf den Kopf gestellten Bildern, nachvollziehen. Doch stellt sich die Frage, warum diese vier Künstler in einer Ausstellung kombiniert wurden, als stellten sie eine Künstlergruppe dar. Ob diese vier Künstler „Atmosphäre und Zeitgeist“ der „Umbruchjahre“ ab 1960 besser zeigen als eine Dokumentation, wie es das Vorwort des umfangreichen Katalogs postuliert, ist zu bezweifeln. Im Gang der Staatsgalerie vor dem Ausstellungsraum hängt eine Chronik der Jahre mit Phänomenen wie Martin Luther King, dem israelischen Blitzkrieg oder dem Mord an John F. Kennedy, als wären die vier Künstler Chronisten ihrer Zeit, doch davon findet sich ihren Werken kein Nachhall. Allenfalls Kiefers Arbeiten sind politisch begründet, die von Richter in keiner Weise, und Polkes alles erfassende witzige Ironie hat keinen Raum für gesellschaftliches Engagement. Zwischen Polke und Richter lassen sich zwar künstlerische Parallelen in der Auswahl der Bildmotive finden, doch mehr als vage Ähnlichkeiten sind das nicht. Kiefers Position ist ganz eigenständig wie auch die von Baselitz, der im Interview im Katalog auch deutlich macht, dass er mit den übrigen drei Kollegen nichts zu tun hat.
Die Ausstellung hätte das Phänomen „Rückeroberung der gegenständlichen Malerei“ zum Thema erheben können, doch das hätte in der Ausstellungsgestaltung seinen Niederschlag finden müssen. Hier aber werden die vier Künstler nur in einzelnen Kabinetten nebeneinander gestellt, man kann auch sagen abgehandelt. So bleibt als einigendes Band der Erfolg. In den Kataloginterviews mit den drei noch lebenden Künstlern wird denn auch immer wieder abgehoben auf die frühen Ausstellungserfolge und die Bedeutung von potenten Sammlern. Damit aber ist das Konzept der Ausstellung letztlich die Situation des Kunstmarkts, der in keiner Weise hinterfragt wird.
So bleibt das Vergnügen an den Werken selbst. Alle vier Maler dürften Meister ihres Faches ein, alt sind sie auch geworden, eines aber sind sie nicht: „Alte Meister“, denn deren junge Jahre lagen im Mittelalter und meist auch noch im Dunkeln.
„Die jungen Jahre der Alten Meister. Baselitz – Richter – Polke – Kiefer“, Staatsgalerie Stuttgart bis 11.8.2019. Katalog 334 Seiten, 34,90 Euro