Bei Heimatkunst rümpft man gern die Nase: Man denkt an Zopffrisuren, Trachtenfeste, Bilder mit röhrenden Hirschen; sie gilt als rückständig, weltfern, hinterwäldlerisch, Schriftsteller wie Ganghofer oder Anzengruber fallen einem ein. Wenn Künstler von heute sich dem Thema Heimat zuwenden, dann nicht selten ironisch, distanziert. Nicht so Gabriela Oberkofler. Die in Stuttgart arbeitende Künstlerin stammt aus einer Bergbauernfamilie in Südtirol und beherrscht alle Kunstmittel – traditionelle wie die Zeichnung ebenso wie moderne, etwa Performance und Video. Ihre Arbeiten kreisen um Themen wie Heimat, Fremde, Reisen – und immer wieder Natur. In der Kunsthalle Göppingen zeigt sie Zeichnungen und Installationen.
In den großen Ausstellungssaal der Kunsthalle Göppingen hat Gabriela Oberkofler zahlreiche Nadelbäume platziert, genauer: „Tannenbäume“, noch genauer: „Weihnachtsbäume“, allerdings Weihnachtsbäume nach dem Fest – und somit nach der ihnen gemäßen Zeit, nämlich nach Epiphanias. Die Nadeln sind abgetrocknet, manche Bäume haben sie auch schon zu Boden fallen lassen. Das ist ein sarkastischer Kommentar zu unserem Umgang mit Natur an einem heiligen Fest.
Wenn man sich in das Baumlabyrinth begibt, setzt sich die Ironie fort: Dort hat Gabriela Oberkofler begonnen, die Bäume in ihre Bestandteile zu zerlegen und in Kartons zu sammeln: große und kleine Nadeln, längere und kürzere trockene Äste. Es ist ein mit geradezu wissenschaftlicher Akribie angelegtes Archiv; jeder Baum wird genau beschriftet, etwa mit der Nummer des Hauses, in dem er noch vor wenigen Wochen stand.
Eine solche Archivarbeit zieht sich durch ihr ganzes Schaffen. So hat sie ein Bild in der Tradition einer Sybille Merian zum Baum ihrer Heimat gezeichnet, der Latschenkiefer. Alles findet sich auf diesem Bild, nur nicht so, wie die Natur uns den Baum bietet. Unterschiedliche Wachstumsphasen wie Knospe, Blüte und Frucht sind auf einem einzigen Blatt versammelt, die Zeichnung zeigt gewissermaßen den Inbegriff der Latschenkiefer schlechthin. Zugleich aber ist das Bild auch eine Art Epitaph auf den Baum, denn er ist ja ähnlich wie der Tannenbaum in ihrer großen Göppinger Installation bereits in Auflösung begriffen. Das trifft auch auf viele ihrer Zeichnungen zu. Mit kleinsten Strichen porträtiert sie Pflanzen und Tiere, so dass man nicht weiß: Baut sich hier die Natur vor unseren Augen aus Strichen auf, oder zerfällt sie in lauter Einzelstriche.
Immer wieder stößt Gabriele Oberkofler in Grenzbereiche vor. Einem Hund in ihrer Stuttgarter Ateliergemeinschaft hat sie ein filmisches Denkmal gesetzt, einen Schwarzweißfilm, in dem das alte, schon gehschwache Tier oft reglos in einer Ecke steht, dann wieder im Schatten entschwindet oder aus dem Schatten auftaucht – eine Existenz zwischen Sein und Nichtsein.
Mit Tausenden von Punkten und Strichen hat sie einen Bienenschwarm porträtiert – einen Bienenschwarm, der kein Zentrum mehr hat, dem die Königin abhanden gekommen ist. Ebenfalls einen Bienenschwarm zeigt ein Video an der Wand: Man hört das Summen, aber man sieht kein einziges Tier, die Kamera hat die Position der Insekten eingenommen, wie sie sich den Blüten nähern – die dann unscharf werden, sich aufzulösen scheinen.
Auf einer Zeichnung hat sie einem Schaf in den Oberkörper die Gitterstruktur seines Gatters eingezeichnet: Die dem Tier von den Menschen aufgezwungene Lebensform in Gefangenschaft ist Teil des Tieres geworden.
Zugleich aber sieht Gabriela Oberkofler in dem Vergehen in ihren Arbeiten, dem Tod, der Auslöschung, auch eine Chance zu etwas Neuem. Ihre Bildwelten handeln vom Stirb und Werde! Wenn sie sich für ein Video eine Lederhose anzieht und eine Ziehharmonika umlegt, um in der Berglandschaft ihrer Heimat zu jodeln – das sie dafür eigens lernen musste – dann ist das Satire auf Heimattümelei und zugleich Reminiszenz an die eigene Kindheit, Ironie und zugleich ein Bekenntnis zur Heimat. Eindeutig ist in ihrer Kunst eben selten etwas – so wie der Titel, den sie ihrer Ausstellung in der Kunsthalle Göppingen gab: „Schwarz ist die Nacht nie“.
„Gabriela Oberkofler: Schwarz ist die Nacht nie“ Kunsthalle Göppingen bis 3.4.2016