Eine Art Verwandlung: Stefan Rohrers Umgang mit des deutschen liebstem Kind

Vielen Künstlern galt es als Sinnbild des Fortschritts, der Moderne: das Auto. Die Futuristen sahen in einem aufheulenden Automotor mehr Schönheit als in der Nike von Samothrake, die Popkünstler verherrlichten die Karosserien der Straßenkreuzer in leuchtenden Farben, Andy Warhol feierte 1986 das hundertjährige Bestehen des Automobils mit einer Serie zu den Luxusmodellen der Firma Mercedes, aber er zeigte auch die Kehrseite der Medaille, einen Verkehrsunfall. Wolf Vostell formulierte drastisch, mit einem Auto kaufe man den Unfall gleich mit, und schuf für den Mittelstreifen des Hohenzollernrings in Köln eine Plastik, für die er ein Auto in Beton gegossen hatte: Ruhender Verkehr. Stefan Rohrer vereint in seinen Arbeiten zum Automobil beide Aspekte – den Glanz und die Katastrophe.

Fast and Furious

Schnell muss es gewesen sein, das blaue Auto, ein Honda, und die Automarke ist bei Stefan Rohrer immer wichtig. Fast and Furious nennt er diese Arbeit und spielt damit auf eine japanische Spielfilmreihe an, in der es um illegale Straßenrennen mit hochgetunten meist japanischen Autos geht. Dieser Honda muss extrem hoch getunt gewesen sein, denn so ziemlich alles an ihm hat sich selbstständig gemacht, sei es durch zu hohe Beschleunigung, sei es durch einen Aufprall. Ein Rad schießt durch die Luft, Lenkrad und Vordersitz haben sich vom Auto getrennt und fliegen eigene Wege. Die Arbeit wirkt wie die Momentaufnahme aus einem aberwitzig schnellen Geschehen, sie ist geronnenes Tempo, ein Widerspruch in sich, aber sehr treffend.

Rohrer vereint in seinen Arbeiten gern Widersprüche und macht so auf die Ambivalenz des Phänomens Auto aufmerksam: Es steht für Geschwindigkeit, Freiheit, Ungezwungenheit und kann doch zugleich im Bruchteil einer Sekunde zum Stillstand kommen, und das mit verheerenden Folgen, denn man wagt sich kaum auszumalen, was mit dem Fahrer dieses Honda passiert ist, er ist jedenfalls nicht mehr da.

Menschen sucht man in diesen Arbeiten vergebens, einmal lässt Rohrer zwei Kühe durch die Lüfte sausen, sie wurden wohl einmal auf einem Pickup durch ländliche Gefilde transportiert, doch ein Unfall muss dem beschaulichen Geschehen ein jähes Ende gesetzt haben. So vereint Rohrer in seinen Arbeiten Tempo und Stillstand, seine Skulpturen sind der Inbegriff des Zeitraffers und scheinen sich doch zugleich im selben Augenblick in Zeitlupe dehnen zu wollen – im wahrsten Sinn des Wortes: Wie in einem Comicfilm der Schwanz einer Katze, der sich in einer Tür eingeklemmt hat, ziehen sich da Trittbretter in die Länge, winden sich, nur dass der Schwanz im Comic in der nächsten Sekunde wieder in seine ursprüngliche Länge zusammenzurren würde, während bei Rohrer ein solches Zurück nicht mehr möglich ist.

Schleudertrauma 13

In seiner Arbeit Schleudertrauma 13 lässt er zwei französische Automobiltypen der 60er Jahre aufeinanderprallen: Die Arbeit zeigt in einer Spirale ein aberwitzige Katastrophe, die doch zugleich gar nicht so katastrophal anmutet, denn man findet bei Rohrer keine Blutspritzer, die Autos sind zwar demoliert, aber immer noch auf Hochglanz poliert. Dabei montiert Rohrer nicht selten unterschiedliche Bestandteile des Phänomens Autofahrt zu einer Einheit. Nicht nur die Karosserien, sondern auch die Straßen mit ihren weißen Mittelstreifen sind Teil der Skulpturen und geraten in Bewegung.

Roller Coaster

Auch politische Assoziationen kommen einem in den Sinn. So schweißte Rohrer eine Vespa und ihr DDR-Pendant Schwalbe zu einer neuen Einheit zusammen und schuf so ein ganz neues Modell der Wiedervereinigung.

Rohrer bastelt sich diese Arbeiten aus echten Autoteilen zusammen, ist der Realität also sehr nahe, und schafft doch mit seinen Plastiken Szenarien der reinen Fantasie, auch das einer der zahlreichen Widersprüche, die er in seinen Werken vereint – wie auch die Tatsache, dass er sich mit den Unfallszenen zwar im dreidimensionalen Raum bewegt, aber zumal bei seinen Wandarbeiten zugleich Zeichnungen aus Lack und Blech schafft.

Seine Arbeiten könnten Autofans und Autofeinde gleichermaßen in ihren Bann ziehen, denn beide können sich ihre eigenen Geschichten und Lehren aus dem ableiten, was sich da in geronnener Form vor ihren Augen vollzieht bzw. vollzogen hat, denn Rohrer vereint in den Arbeiten auch Vergangenheit und Gegenwart, die der Betrachter sogar in seiner Fantasie in die Zukunft weiterführen kann.

Ein wenig erinnert das an die französischen Dekonstruktivisten, die von alten Plakatwänden Papierschichten abrissen und so neue Bilder schufen. Rohrer baut alte Fahrzeuge auseinander und montiert sie neu, aber er hat damit etwas grundsätzlich anderes zuwege gebracht. Es ist eine Art Aus Alt mach Neu, es ist auch eine Art Upcycling, das in letzter Zeit so beliebt ist, eigentlich aber ist es ein Transcycling, eine Verwandlung bekannter Phänomene in etwas gänzlich Neues, das dennoch eine enge Verwandtschaft zum Urstoff hat.

Stefan Rohrer. Roller Coaster“. Galerie im Prediger, Schwäbisch Gmünd bis 10.9.2017

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