Er war König von Großbritannien und Irland, Kurfürst von Braunschweig-Lüneburg und König von Hannover: Georg III. regierte so lange wie kein englischer König vor ihm, und doch endete seine Herrschaft vorzeitig und tragisch. Zunehmend machte sich eine Geisteskrankheit bemerkbar, 1811 übernahm sein Sohn die Regentschaft, Georg irrte dem Vernehmen nach in den Gängen von Schloss Windsor umher. Was er da vor sich hin redete, wurde zum Teil aufgezeichnet und bildet die Basis für ein Libretto von Randolph Stow, das Peter Maxwell Davies 1969 vertonte: Eight Songs for a Mad King. Im Sommer 2020 inszenierte Andreas Weirich das stark halbstündige Werk an der Bayerischen Staatsoper, die es jetzt als Stream zur Verfügung stellt.
Holger Falk, Statisterie der Bayerischen Staatsoper © Wilfried Hösl
Weirich macht von Anfang an klar, worum es ihm geht: Nicht so sehr um den historischen Hintergrund, wie ihn der Librettist Randolph Stow beabsichtigte: Der ließ sich von einer alten kleinen Orgel inspirieren, die Georg III. gehörte und auf der er einige Töne spielen konnte, und so stellte sich Stow den König vor, wie er in seiner Abgeschiedenheit seinen geliebten Vögeln das Singen seiner Lieblingsmusiken beibringt. Weshalb in der Uraufführung denn auch die sechs Instrumentalisten in Vogelkäfigen auf der Bühne saßen.
Bei Weirich geht es um einen klinischen Fall. Zwar erinnern ein Thron mit einer kleinen Krone und gelegentlich ein purpurfarbener Umhang an den royalen Kontext, auch eine kleine Handorgel befindet sich auf der Bühne, auf der der König gelegentlich wild herumhämmert. Vor allem aber bringt Weirich einen geistig Zerrütteten auf die Bühne, der sich bereits in psychiatrischer Obhut befindet, man kann auch sagen in psychiatrischer Gefangenschaft. Er sitzt zu Beginn bereits auf seinem Thron, an den er mit einem dicken Gurt wie in einer Zwangsjacke gefesselt ist, und so wird er am Ende auch wieder in Gewahrsam gebracht. Sein Haupt ist mit einem weißen Tuch verhüllt, das er während der ersten Klänge des kleinen Instrumentalensembles langsam abzieht. Was dann beginnt, ist genau das, was Peter Maxwell Davies und sein Librettist kreierten – eine Reihe von Monologen eines Mannes, dessen Geist verwirrt ist, der scheinbar zusammenhanglos vor sich hin spricht, wobei sich bei genauerem Hinsehen durchaus Sinnzusammenhänge ergeben. Da geht es um den Verlust seines Königreichs, für das irgendjemand den Schlüssel gestohlen haben soll. Es geht um ein Reich, das sich aus lieblichen Landschaften zusammensetzt, in denen Landwirtschaft betrieben wird, es geht um Gott, der ja auch eine Art König sei. Das alles aber wird nicht rational argumentativ vorgebracht, sondern in Form von Assoziationen.
Hierzu hat Peter Maxwell Davies ein Spektrum an Klängen erfunden, das seinesgleichen suchen dürfte. Es beginnt mit einem kakophonischen Akkord, der sich dann allmählich in einzelne Bestandteile auflöst, ein Widerhall dessen, was mit dem Geist des Königs geschah. Die Musik reicht von wunderschönen Kantilenen bis hin zu grässlichen Geräuschen, das heißt von der Reminiszenz des Protagonisten an die Normalität der Vergangenheit bis zur absoluten geistigen Zerrüttung.
Das verlangt dem Sänger schier Unsingbares ab. Fünf Oktaven umfasst der Tonumfang der Komposition, die Ausdrucksformen reichen von Belcanto bis hin zu einem Röcheln, Rasseln, Krächzen. In der Münchner Produktion meistert Holger Falk diese Aufgabe meisterhaft bis in die letzten Ausdrucksmöglichkeiten. Regisseur Weirich hat mit ihm den Text Wort für Wort studiert und Falk lotet alle Möglichkeiten aus, die ihm Text und Musik bieten. Wenn der Protagonist sich mit Gott vergleicht, der ja auch ein König sei, stößt Falk das Wort „King“ geradezu ekelerfüllt hervor. Wenn der König betont, er sei nicht krank, aber sehr wohl nervös, kommt nur noch ein Stottern aus dem Mund des Sängers; schließlich endet im letzten der acht Gesänge der Gesang, der Sänger muss sich auf ein Deklamieren beschränken, was Falk bis ins Letzte verständlich über die Lippen bringt. Dies macht die Zerrüttung des Geistes in Mimik und Gestik glaubhaft deutlich. Dasselbe gelingt Dirigent Olivier Tardy mit dem sechsköpfigen Instrumentalensemble. Grandios lotet er den kakophonischen Akkordbeginn aus und lässt dann die Musik Schritt für Schritt sich auflösen.
Holger Falk, Statisterie der Bayerischen Staatsoper © Wilfried Hösl
Das Publikum erlebt das alles hautnah mit, denn es sitzt auf der Bühne, im Fall der Aufführung für den Stream, der gegen eine Gebühr bis Anfang Februar abrufbar ist, vertreten durch Puppen. Weirich lässt die stark halbstündige Aufführung allerdings nicht mit dem kakophonischen Ausbruch beginnen, der am Anfang der Partitur steht, sondern mit einem langen Trommelsolo, zu dem feierlich – schließlich sind wir bei Hof – die späteren Instrumentalisten als klinisches Personal in weißen Kitteln mit Mundschutz einmarschieren; so verlassen sie am Ende die Bühne auch wieder. Das setzt den inszenatorischen Ton für die ganze Aufführung, die einen Mann unter Kuratel zeigt.
So ist ein eindrucksvolles Psychogramm gelungen, das freilich den historischen Hintergrund vermissen lässt. Man sollte dafür vorneweg den von der Staatsoper im Internet veröffentlichten Text durchlesen, sonst geht eine ganze Dimension verloren.
Mit einem Tagesticket (4.90 Euro) ist der Stream bis Anfang Februar abrufbar: