Die amerikanische Traumweltindustrie erinnert gern an ihre großen Väter. Was 1918 vier aus Polen stammende Brüder begründeten, lebt heute noch mit ihrem Namen fort als Warner Brothers, MGM ist benannt nach ihrem Gründer Louis B. Mayer. Beiden Filmgesellschaften ging aber eine Gründung voraus, die mit Fug und Recht LFS heißen könnte, Laemmle Film Studios, benannt Carl Laemmle.Der hatte seine Filmfirma bereits 1912 ins Leben gerufen und Universal Studios genannt, und damit endete sein Einsatz für die Traumindustrie keineswegs. Das Haus der Geschichte in Stuttgart zeichnet zum 150. Geburtstag die Lebensgeschichte dieses gebürtigen Schwaben aus Laupheim nach, die selbst Stoff für einen Film sein könnte.
Er führte in keinem Film Regie, bekam aber dennoch einen Oscar, vor allem aber wusste er, wie man etwas in Szene setzte, beispielsweise seine Geburtstage. Es waren Riesenpartys in großem Stil mit Torten, die an Pfunden jeweils der Zahl seines gefeierten neuen Lebensjahres entsprachen. Und so steht am Anfang der fünf Kapitel, in die diese Lebensgeschichte des Laupheimers aufgeteilt ist, jeweils ein Foto einer solchen Feierlichkeit, begonnen mit der zu seinem 50. Geburtstag, den er im Aschenbrödel Club in Manhattan beging – mit einer Speisekarte, auf der sich englisch und deutsch abwechselten, ganz Laemmles Lebensgefühl entsprechend. Er empfand sich als Deutsch-Amerikaner, als gebürtiger Deutscher, der 1884 in die USA auswanderte, fünf Jahre danach die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt und in seiner neuen Heimat die sprichwörtliche Karriere vom Tellerwäscher zum Millionär durchlief, wenn auch nicht ganz in diesen Extremen. Bald schon war er Geschäftsführer eines Bekleidungsunternehmens. Aber Laemmle fühlte sich offenbar nicht ausgelastet, er wechselte die Branche und setzte auf Risiko: Er erwarb ein Nickelodeon, eines jener kleinen Kinoetablissements, in denen man für einen Nickel (fünf amerikanische Cents) Kurzfilme sehen konnte. Zwei Monate später hatte er bereits ein zweites Kino, produzierte schließlich ab 1909 selbst Filme, da ihm das Angebot für seine eigenen Häuser nicht ausreichte. Der Grundstein für eine beispiellose Karriere war gelegt, die die ganze Welt verändern sollte, denn als er sechzig wurde (der nächste Geburtstag in dieser Ausstellung) war er bereits der Gründer dessen, was bis heute als Inbegriff der Traumfabrik gilt: Hollywood. Die Ausstellung zeigt, wie auf dem Grund und Boden einer Hühnerfarm eine ganze Stadt entstand, mit Krankenhaus, Postamt, Schule, Elektrizitätswerken und einem Bürgermeister. Und in dieser Stadt entstand, für die kurze Zeit der Dreharbeiten, letztlich die ganze Welt: Die Pariser Oper für das „Phantom der Oper“, einen der frühen Erfolge, ganze Schlachtfelder zur Darstellung des 1. Weltkriegs für die Verfilmung von Erich Maria Remarques Roman „Im Westen nichts Neues“, für den ihm als Produzenten ein Oscar verliehen wurde (die Ausstellung zeigt den Oscar für den Regisseur dieses Films, Lewis Milestone).
Louis B. Mayer überreicht Carl Laemmle den Academy Award für „All Quiet on the Western Front“, 5.11.1930
Dieser Film trug ihm in Deutschland Ablehnung ein, denn es war ein Antikriegsfilm, und nicht der erste, in dem Kritik an Deutschland geübt wurde. Bereits 1918 hatte Laemmle einen sarkastischen Film über den deutschen Kaiser herausgebracht. Wer in den USA in den Jahren des 1. Weltkriegs lebte, konnte, das musste Laemmle erfahren, nicht Deutsch-Amerikaner (mit Bindestrich) sein, also Deutscher und Amerikaner, sondern hatte ganz Amerikaner zu sein, der eben nur aus Deutschland stammte, einem Deutschland, dem sich Laemmle allerdings Zeit seines Lebens verpflichtet fühlte. 1924 veröffentlichte er einen Spendenaufruf für die notleidende deutsche Bevölkerung, und seiner Heimatstadt Laupheim half er über Jahrzehnte hinweg mit Geld und Sachspenden. Sie dankte es ihm mit einer nach ihm benannten Straße (das Schild ist zu sehen), bis die Nazis die „Carl Laemmle-Straße“ in „Schlageterstraße“ umtauften.
Und als Produzent war Laemmle ebenso ideen- und erfolgreich wie als Unternehmer. Er begründete das Starsystem in Hollywood, setzte auf Frauen auch hinter der Kamera, brachte das Prinzip der Serie zur Vollkommenheit, bei dem die Filme an einer spannenden Stelle abbrachen und so die Kinobesucher auch in die nächste Folge lockten.
„Universal Studios“ nannte Laemmle 1912 seine Produktionsgesellschaft. Wie recht er mit dem Namen hatte, zeigt eine Landkarte, auf der auf vier Kontinenten unzählige Niederlassungen über den Globus verteilt eingezeichnet sind. Laemmle war der Global Player, der Filmgeschichte geschrieben hat, nicht zuletzt mit seiner Begeisterung für Horrorfilme, der die Kinowelt letztlich Boris Karloff als Monster verdankt.
Der letzte Geburtstag, der das Schlusskapitel dieser Lebensgeschichte einleitet, zeigt Laemmle im privaten Kreis. Die Studios hatte er aus finanziellen Gründen abgeben müssen, die letzten Jahre seines Lebens widmete er sich dem, was er die ganzen Jahre hindurch gewissermaßen nebenher sein wollte: einem Leben als Deutsch-Amerikaner (mit Bindestreich): Laemmle verhalf unzähligen deutschen Juden mit Affidavits (Bürgschaftserklärungen) zum lebensrettenden Exil.
So zeigt die Ausstellung die Geschichte eines Mannes, die von geradezu wundersamer Konsequenz geprägt ist – dem offenbar unvermeidlichen Erfolg, der von Visionen getragenen Lebensarbeit und dem lebenslangen Einsatz für seine deutsche Heimat. Letztlich ist es ein Märchen, es sollte in den Universal Studios verfilmt werden.
„Carl Laemmle Presents – Ein jüdischer Schwabe erfindet Hollywood“, Haus der Geschichte, Stuttgart bis 30.7.2017