Man findet sie in Ausstellungsräumen meist versteckt in einer Ecke des Raums: kleine zylinderartige Geräte, die mit einem dünnen Stift auf vorgedrucktes Papier Linien schreiben und damit Luftfeuchtigkeit und Temperatur des Raumes festhalten als Kontrolle für die Verantwortlichen, die für eine gleichbleibende Raumatmosphäre für die empfindlichen Kunstwerke zu sorgen haben. Und wenn das Museum nicht über eine gute Klimaanlage verfügt, wie die in einem ehemaligen Fabrikgebäude untergebrachte Städtische Galerie Reutlingen, dann befinden sich auch noch vitrinengroße weitere Geräte im Raum, Luftbefeuchter, die dafür sorgen, dass die Hygrothermographen konstante Linien zeigen. Solche Geräte finden sich auch jetzt in diesem großen Saal, allerdings nicht verschämt in die Ecke gerückt, sondern mitten im Raum platziert, und auch gleich in Serie: Heiko Wommelsdorf hat jeweils sechs von ihnen in Reih und Glied aufgestellt, unübersehbar – und das sollen sie auch sein, denn sie sind Teil seiner großen Reutlinger Rauminstallation.
Wommelsdorf greift damit die Geschichte dieses Raums auf, in dem einstmals Maschinen standen, denn die Geräte wirken wie eine maschinelle Produktionsstraße. Zugleich bezieht sich Wommelsdorf mit den in Ausstellungsräumen nicht unüblichen Geräten auch auf die heutige Nutzung dieses Raums, der seit geraumer Zeit als Dependance des Städtischen Museums der Stadt dient. Wommelsdorf arbeitet gern mit Geräten des Alltags – und mit Räumen. Selten stellt er einfach nur Objekte aus. In diesem Fall hat er den Raum genau analysiert, hat oben an der Wand ein altes, längst außer Funktion gesetzten Lüftungsgitter entdeckt. Wommelsdorf hat es gewissermaßen reaktiviert, wenn auch nur akustisch. In seiner Ausstellung gibt er wieder wie früher Abluftgeräusche von sich, die Wommelsdorf mittels Lautsprecher ertönen lässt.
Und damit ist man beim zweiten Aspekt dieser Ausstellung und dieses Künstlers. Wommelsdorf, der Bildhauerei studiert hat, interessiert sich stets auch für Geräusche – alltägliche Geräusche, wie ja die Objekte, die er verwendet, nicht selten auch dem Alltagsleben entlehnt sind. Hat man das Glück, allein in diesem Raum zu stehen, dann fällt einem sogleich die Geräuschkulisse auf, die durch die Geräte aufgebaut wird: Die Befeuchter geben ein leicht dröhnendes Brummgeräusch von sich, die Hygrothermographen ein kaum wahrnehmbares Ticken. An die Wände hat er zwanzig Lautsprecher platziert, als wären es abstrakte Reliefs. Aus ihnen ertönt in unterschiedlichen Abständen ein metallisches Klicken.
Das könnte man als Fremdkörper deuten, denn wie gesagt sind Befeuchter und vor allem Hygrothermographen durchaus nicht unüblich in musealen Räumen, doch auch dieses Klicken hat Wommelsdorf dem Raum abgelauscht. Er hat zunächst den Hall im Raum gemesssen – drei Sekunden lang: Dann hat er mit den Fingern geschnippt, das Geräusch aufgezeichnet und elektronisch verfremdet. Das lässt er nun aus den Lautsprechern ertönen: aus jedem Lautsprecher einmal pro Minute, macht rein rechnerisch alle drei Sekunden ein Klicken im Raum, entsprechend der Hallsituation. Allerdings strahlen die Lautsprecher diese Geräusche nicht, wie sonst üblich, in den Raum hinein, sondern gegen die Wand, an die er schallschluckende Platten genagelt hat. So ist ein Klang entstanden, der fremd wirkt und doch ganz aus der Atmosphäre des Raums heraus entstanden ist.
Ähnlich subtil und vielschichtig sind die Blätter zu deuten, die Wommelsdorf an die Wand gehängt hat. Auf den ersten Blick meint man, Graphiken vor sich zu haben, abstrakte Zeichnungen, denn Wommelsdorf hat jedes dieser Blätter gerahmt; bei genauerem Hinsehen sind es die Formulare, die die Hygrothermographen in einer seiner früheren Ausstellungen aufgezeichnet haben, also Diagramme, die die Geschichte dieser Ausstellungsräume widerspiegeln, denn man kann an ihnen ablesen, wann viele, wann wenige Besucher im Raum waren. Wommelsdorfs Arbeiten regen zu ganzen Assoziationsketten an, die unabdingbar zu seinen Ausstellungen gehören, der Besucher muss mitdenken – und kann dabei in ganz andere Richtungen spekulieren als der Künstler selbst.
So hat Wommelsdorf eine Rauminstallation gestaltet, die sich aus den Gegebenheiten des Raums heraus entwickelte und in den Raum zurückwirkt – und wer künftig die Städtische Galerie in Reutlingen besucht, dürfte nicht nur mit den Augen den Raum wahrnehmen, sondern dank Wommelsdorf auch mit den Ohren, denn ein Raum, darauf weist seine Installation hin, ist nicht nur ein visuelles Phänomen, ein Raum klingt!
„Heiko Wommelsdorf“, Städtische Galerie Reutlingen, Eberhardstraße 14, 72764 Reutlingen bis 24. 7. 2016