Ein Märchen um König Fußball: J. L. Carrs Buch Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten

Dass ein Zwerg einen Riesen besiegen kann, ist spätestens seit der Geschichte von David und Goliath Standardmotiv so mancher Märchen. Und Märchen werden auch in der Welt, in der wir leben, wahr. So geschehen 2008 in Deutschland. Da stieg der Fußballverein einer 3000-Seelen-Gemeinde in die Bundesliga auf. Zugegeben: es hatte der Unterstützung eines millionenschweren Unternehmers bedurft, aber die Sensation war perfekt: Die TSG Hoffenheim schreibt Fußballgeschichte. Dass ein solches Märchen auch in einem Dorf wahr werden kann, hat J.L.Carr 1975 in einem schmalen Bändchen geschildert. Und dieser Fußballmannschaft gelang nicht nur der Aufstieg in die englische Liga, sie errang sogar den Finalsieg im Wembley Stadion und damit den Englischen Pokal.

Das Dorf heißt Sinderby und liegt in North Yorkshire. Es verfügt über ein wenig Kleinindustrie, eine Eierfarm, besitzt eine kleine Kirche, eine Village Hall und ein Village Green – und all das sollte in dem Fußballmärchen eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Da wäre zum Beispiel der führende Unternehmer des Orts, Mr. Fangfoss, der in allen Belangen ein Wörtchen mitzureden hat und also auch den Vorsitz der Dorffußballmannschaft in Händen hält, obwohl er, wie er selbst eingesteht, kein Fußballfan ist. Auch der Pfarrer, Giles Montagu, ist von Bedeutung in diesem Märchen, ist er doch Mitglied in der Mannschaft, vor allem aber hat er eine Schwester, deren Anteil am märchenhaften Erfolg nicht zu überschätzen ist, auch wenn sie ihrem Bruder das Leben schwer macht, zieht sie doch mit einem kleinen Wägelchen durch die Gegend und versucht, durch temperamentvolle Reden die Menschen zu ihrer Sekte zu bekehren.

Nicht zu vergessen Sid Swift, einst Fußballer in der oberen Liga, der doch am Sinn des Profisports verzweifelte und sich in Sinderby niedergelassen hat. Er kann reaktiviert werden.

Und dann ist da ja auch noch Dr. Kossuth, ein emigrierter Ungar. Er hat zwar mit Sport gar nichts am Hut, ist Leiter der Dorfschule und verfolgt ein recht kurioses System zur Erhöhung der Gedächtnisleistung seiner Schüler, aber er ist Ungar, und als solcher Landsmann jener legendären Fußballmannschaft, die der englischen Nationalmannschaft mit 6:3 eine verheerende Niederlage beigebracht hatte. Das war zwar schon 1953, ist aber keineswegs vergessen.

Und so macht sich Kossuth bei einem Profiverein schlau und entwirft seine alsbald allenthalben zitierten Fußballregeln, deren erste von entwaffnend schlichter Logik ist: Man müsse beim Fußball nicht immer auf den Ball schauen, Frauen könnten ja auch stricken, ohne auf die Nadeln blicken zu müssen. Er ist es auch, der entscheidende taktische Ratschläge gibt. So möge man, wenn die Gegner gegen die Sonne spielen müssten, die Bälle möglichst hoch halten, damit der Gegner sie nicht sehe, außerdem sei der heimische Kickplatz ideal, denn er weise eine gewisse Schräglage auf, die den Sinderbyern vertraut sei, den Gegnern aber Gleichgewichtsprobleme verursachen würden. Zugegeben, um das Gelände zum Fußballplatz erklären zu können, muss erst die unter Naturschutz stehende Eiche fallen. Doch was tut man nicht alles für den Fußball.

Das alles erfahren wir aus der Chronik von Joe Gidner, den der allmächtige Mr. Fangfoss zum Sekretär des Vereins macht, weil er mit dem Schreiben seine Brötchen verdiene. Das stimmt, und stimmt doch auch wieder nicht. Gidner ist eine verkrachte Existenz, hat sich das hehre Ziel gesetzt, einem völlig unbekannten Dichter der Region mit einer Monographie ein Denkmal zu setzen, muss seinen Lebensunterhalt aber mit dem Verfassen von Grußpostkartentexten verdienen.

Durch solche skurrilen Gestalten ist die Lektüre dieses Buchs ein Vergnügen besonderer Art. Carr lässt keine noch so absurde Wendung aus; so überzeugt ausgerechnet die Schwester des Pfarrers Exprofispieler Alex Slingsby zur Teilnahme, schließlich weiß sie, wie sie mit Worten die Menschen auf ihre Seite ziehen kann.

Und dann nimmt das Märchen seinen Lauf, von anfänglichen Siegen gegen andere Regionalmannschaften bis eben hin zum Endspiel im Wembley Stadion. Carr zitiert genüsslich erst die lokale Reporterin, dann die Gazetten aus ganz England, beschreibt, wie man die gegnerischen Mannschaften durch raffinierte Tricks aus der Fasson lockt und schließlich zum Gespräch des ganzen Landes wird.

Das Dorf Sinderby gibt es tatsächlich, nur hinsichtlich der Zahl der Einwohner hat Carr geschwindelt. Es sind nämlich nicht 547 Seelen, wie er angibt, die Bevölkerungszahl bewegte sich über die Jahre weitgehend um die hundert! Und das ist natürlich nicht die einzige Lüge, schließlich ist Carr Romancier. Das ganze Fußballmärchen ist – Märchen, aber so überzeugend geschildert, dass man am liebsten in den Annalen des englischen Fußballs nachschauen möchte. Und wer kein Freund dieser Sportart ist, könnte es möglicherweise nach der Lektüre dieser knapp zweihundert Seiten werden, denn es handelt davon, dass auch die Underdogs einmal die Oberhand gewinnen können, wie Glaube Berge versetzt und wie wichtig es ist, aufzuhören, wenn es am schönsten ist.

J. L. Carr: Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten. Roman. Aus dem Englischen von Monika Köpfer. DuMont Buchverlag, Köln 2017, 192 S., 20,- Euro

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