Sie wollten die neue Generation ansprechen, die Jugend und die im Akademismus erstarrte Kunst erneuern – die Künstler, die sich unter dem Namen Brücke zusammenschlossen. Das stieß auf Ablehnung, ihre Bilder wurden zum Teil angespuckt, doch letztlich hatten sie damit ihr Ziel erreicht: die Menschen aufzurütteln und zu irritieren, mit kräftigen, „unnatürlichen“ Farben, Motiven, die in der braven Bürgerwelt Anstoß erregen mussten, mit einer freien, spontanen Malweise. Der Name stammte von einem der Gründungsmitglieder, Karl Schmidt-Rottluff, der von seinem Malduktus her ganz ins Programm der Expressionisten passte und doch einen Eigenweg beschritt, wie jetzt eine Ausstellung im Kunstmuseum Ravensburg zeigt.
Schon seine künstlerische Herkunft unterschied diesen Künstler von seinen Freunden und Kollegen. Ein frühes Gemälde zeigt, dass er ganz den Impressionismus verinnerlicht hatte, was noch deutlicher wird in duftig hingetupften Aquarellen, einer Technik, die er regelrecht studiert hat, auch das unterschied ihn von seinen Kollegen, die allesamt Autodidakten in der Malerei waren und, wie allerdings auch dieser Karl Schmidt, der später seinem Namen seinen Heimatort Rottluff anfügte, Architekten werden wollten. Gemeinsam ist ihnen allen die Faszination, die van Gogh auf sie ausübte. In seiner Malerei entdeckten sie die Ungebundenheit und Spontaneität, die ihnen vorschwebte. Und so finden sich auch bei Schmidt-Rottluff bald kräftige Farben, die mit der Farbpalette, wie sie die Realität anbot, wenig zu tun hatten und die vielmehr innere Befindlichkeiten zum Ausdruck brachten. Während seine Kollegen sich aber darauf konzentrierten und auf eine Motivwelt, die auch ihren Drang nach Ungezwungenheit und Natürlichkeit zeigte – das Nacktbaden und die Aktmalerei – verbrachte Schmidt-Rottluff seine Sommerferien bei Emil Nolde, nicht an den Moritzburger Seen, sondern an der Ostsee. Akte finden sich daher auch eher selten bei ihm, er widmete sich vor allem der Landschaft und den Gebäuden – und nutzte seine Farbpalette nicht nur als Ausdrucksmittel, sondern auch als Weg zur Abstraktion. Schon 1906 bestand ein Meeresbild aus nichts als leuchtenden, fast grellen grünen, blauen und roten Strichen, die eher die stürmische Bewegtheit der Atmosphäre darstellten als einen wohl definierten Landschaftsausschnitt. Dasselbe findet sich auch in der Phase, in der sich sein Pinselstrich beruhigte und er zu klaren, festen Formen fand.
Natürlich kann man in seinem Gemälde Roter Giebel von 1911 zwei Häuser erkennen, einen Weg, Büsche, aber streng genommen handelt es sich um eine Komposition in des Wortes wahrster Bedeutung, eine Zusammenstellung sehr unterschiedlicher Farbflächen. Der Einfluss von Picasso und dem Kubismus verstärkte diese Tendenz zur Auflösung der Gegenstandswelt noch – und mindestens ebenso sehr seine eigene, immer intensiver werdende Farbpalette.
In den dreißiger Jahren entstanden Landschaften und Stillleben, die sich immer weiter von der erkennbaren Welt, wie sie sich dem Auge darbietet, entfernten, so als habe er auf der Leinwand eine Traumwelt erschaffen wollen, fernab der düsteren Realität unter den Nazis, die seine Bilder als „entartet“ diffamierten und aus den Museen entfernten. Diese Bilder sind Farbsymphonien, die sich lediglich noch der Formenwelt der äußeren Realität bedienen, aber in Wirklichkeit ganz eigene Farbträume sind. Das sollte sich dann in seinem Spätwerk noch verstärken, zumal er nicht mehr wie zu Beginn die Farbflächen mit schwarzen Strichen umrahmte, sondern auch bei diesen Bildelementen zur Farbe griff.
Die Folge: Man erkennt Bäume, Pflanzen, aber sie lösen sich auf in reine Farbräusche. So entwickelte sich ein Spätstil, der zwar die Tiefe der Arbeiten zwischen 1906 und 1935 nicht mehr erreichte, aber eine ganz eigenständige Phase in der Entwicklung eines Malers bilden, der einen einzigen Heilsweg für seine Kunst gefunden hatte: Das Ausschöpfen aller Möglichkeiten, die Farbe ihm bieten konnte.
„Karl Schmidt-Rottluff. Das Rauschen der Farben“. Kunstmuseum Ravensburg bis 8.4.2018