Sie wollten zu neuen Ufern aufbrechen, die Künstler, die sich 1905 unter dem bezeichnenden Namen „Die Brücke“ zusammenschlossen. Sie begehrten gegen die Konventionen auf, wollten spontan malen. Akademische Kunst, wie sie noch weitgehend an den Kunstakademien gelehrt wurde, war ihnen ein Gräuel. Sie wollten nicht die Oberfläche, sie wollten ihr Inneres auf die Leinwand bringen mit kräftigen Farben und groben Formen. Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff waren Gründungsmitglieder, aber ihre Anliegen scheinen in der Luft gelegen zu haben. Künstler wie van Gogh und Cézanne prägten viele junge Künstler. Die Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen stellt nun mit Walter Ophey einen weniger bekannten Vertreter einer expressiv subjektiven Kunst vor, einen „rheinischen Expressionisten“.
Rathaus im Sauerland, um 1920 © Kunstpalast, Düsseldorf – ARTOTHEK
Der Begriff passt durchaus, schon biographisch. Der 1882 in Eupen Geborene verbrachte den Großteil seines Erwachsenenlebens in Düsseldorf, wenn er nicht auf Reisen war. Und künstlerisch bewegte er sich durchaus in der Nähe der Brückekünstler. Das tiefdunkle Rot mag an Schmidt-Rottluff erinnern, das intensive Blau an Erich Heckel, das vegetativ üppige Grün an Ernst Ludwig Kirchner. Und auch der oft vehemente dicke Farbauftrag entspricht dem Streben der Expressionisten nach unverfälschtem Ausdruck auf der Leinwand. Doch während die Brückekünstler ihre Malerei zum Ausdruck innerer Zustände und Empfindungen nutzten, ging es Ophey eher um den Reiz der Dinge, vor allem um die Farbe. Ophey war weniger ein Mann des intensiven Innenlebens als vielmehr ein Künstler des Auges. Das Sonnenfeuer wolle er auf der Fläche einfangen und in strahlender Farbe wiedergeben, schrieb er einmal. Das gelang ihm vor allem, als er sich immer wieder den Sandbrüchen bei Ratingen widmete. Da werden die Sandhügel und -täler in lauter farbige Fläche verwandelt, hier findet sich kaum mehr ein Hinweis auf Formen der Natur und Landschaft, hier geht alles in ein Farbgeschehen auf. Das gilt auch für sein fulminantes Bild Komet, auf dem sich das Strahlen des Himmelskörpers überall verteilt, als Funken auf der gewellten Wasseroberfläche, als Farbgestöber in der nachtdunklen Luft. Ophey bedient sich bei solchen Bildern gern kleiner Farbtupfer oder kurzer Pinselstriche, um das Flirren des Licht wiederzugeben oder das Spiel des Lichts auf den Rinden alter Bäume. Aus der Nähe betrachtet wirkt das wie abstrakte Malerei, und das ist auch ein wesentlicher Aspekt seines Schaffens. Ihm kam es nicht darauf an, die Natur abzubilden, ihm ging es darum, ein vollendetes Bild zu erschaffen – ein Bild, das sich ganz aus der Farbe ergibt und das doch zugleich formal genau komponiert ist. Nicht zufällig faszinierte ihn die Verbindung zwischen Malerei und Musik.
Waldlichtung, 1915/16 © Foto: Jörg Schanze, Düsseldorf
So drängt sich bei seinem Bild einer Waldlichtung der Eindruck üppiger sommerlicher Baumvegetation auf, doch streng genommen folgt das Gemälde nicht dem Natureindruck, sondern rein formalen Gesetzen. Stämme und Äste der Bäume folgen nicht den Formen der Natur, sondern rein bildnerischen Aspekten: Einer Biegung nach rechts entspricht eine andere nach links, und dieser Grundbewegung ordnen sich alle übrigen Pinselstriche unter.
Ophey war bei aller Farbopulenz ein genauer Komponist seiner Bilder. 1910 porträtierte er seine damalige Freundin und spätere Ehefrau Bernhardine Bornemann am Nordseestrand. Das Bild wirkt wie eine sommerliche Urlaubsskizze, doch die Pinselstriche sind genau gesetzt. Die kurzen Farbstriche, die den spärlichen Graswuchs andeuten, entsprechen in Richtung und Länge den Strichen, aus denen der im Wind wehende blaue Rock gebildet ist. Dieses Gespür für formale Kompositionsgenauigkeit bildete Ophey möglicherweise durch seine Begeisterung für das Zeichnen mit Farbkreiden aus. Hier beschränkte er seine Bilder auf wenige Striche, genau so viele, wie nötig sind, um die Motive anzudeuten – einen Vulkan beispielsweise oder eine Parklandschaft mit Bäumen und auf Bänken sitzenden Figuren. Sind seine Gemälde Farberuptionen, so sind seine Kreidezeichnungen Charakterisierungen mit der reinen Linie, der er allerdings durch Verwischen auch malerische Qualitäten hinzufügt.
So entpuppen sich die anfangs so expressionistisch wirkenden Gemälde als Gebilde, die ganz aus der Farbe heraus entstanden sind, und was wie Naturschilderung wirkt, ist in Wirklichkeit das Resultat intensiven Farberlebens. So heißt denn auch ein Bild bezeichnenderweise Herbstphantasie. Ophey gibt auf seinen Bildern nicht Welt wieder, er erschafft ganz eigene Welten. Das findet sich schon sehr früh in seinem Schaffen. Ein Bild besteht lediglich aus der Andeutung einer Landschaft und zwei Birkenbäumen, doch wirkt das nicht wie eine Naturschilderung, sondern wie ein Blick in eine Traumlandschaft. Aus der realen Welt und ihren Farbeindrücken schuf Ophey eigene Fantasien. Sein Rotes Haus in Monschau könnte einem Alptraum entsprungen sein, sein Rathaus im Sauerland einer burlesken Komödie.
Man fängt vor solchen Bildern an zu träumen, meint in einer Kirmesbude ein Lebewesen erkennen zu können und in einem Schaufelbagger ein monströses Wesen aus einem Märchen aus 1001 Nacht. Mit Ophey kann man einen Künstler entdecken, den die Farbe und ihre Ausdrucksmöglichkeiten zum Fantasten gemacht haben, der auf der Leinwand im Akt des Malens ganz neue Sphären erschuf, die von der realen Welt angeregt worden sein mögen, aber im fertigen Bild ein ganz eigenes Leben entwickeln – ein Fantast der Farbe.
„Farbe bekennen! Walter Ophey. Ein rheinischer Expressionist.“ Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen bis 6.9.2020. Katalog 199 Seiten