Ein Fachwerkhaus aus dem Jahr 1700, lange Zeit Sitz der Schultheißen von Öschingen auf der Schwäbischen Alb, hat seit 2001 einen neuen Namen: Holzschnittmuseum Klaus Herzer. Das ist ein etwas umständlicher Name, und doch wird er dem gerecht, was den Besucher in diesem ehrwürdigen Gebäude empfängt: ein Museum, das dem Holzschnitt gewidmet ist, und zugleich ein Museum, in dessen Zentrum das Lebenswerk des 1932 geborenen Druckgraphikers steht.
Zeichen VI 1972
Eine Besonderheit des Museums ist eine große Druckpresse, es war die Handpresse von Herzers berühmtem Kollegen HAP Grieshaber. Das könnte auf ein Lehrer-Schüler-Verhältnis deuten, und Herzer hatte den eine Generation älteren Künstler auch kennengelernt. Aber von Anfang an beschritt Herzer eigene Wege. Hatte Grieshaber sich fast durchweg der figürlichen Darstellung verschrieben und Holzschnitte mit hoher Symbolkraft geschaffen, so zeigen bereits die frühen Arbeiten im Treppenhaus des Museums, dass Herzer seine Holzschnitte eher konstruktivistisch komponiert. Sie bestehen aus abstrakten Farbflächen, meist versetzt übereinander gedruckt. Solche Gebilde können den Betrachter zwar an Vegetatives erinnern, etwa an Bäume, doch sind sie derart verknappt dargestellt, dass sie eher den Eindruck einer abstrakten Komposition erwecken. Diesem Prinzip blieb Herzer auch treu, als er nach Öschingen zog und die Alb lieben lernte.
Sein 2001 gegründetes Museum ist aber mehr als ein Präsentationsraum seines Lebenswerks. Im oberen Stockwerk ist es dem Holzschnitt im 20. Jahrhundert gewidmet – Rössing, Förch, Kliemann, Jansen. Und das Museum führt dem Besucher plastisch vor, wie ein Holzschnitt entsteht. Zu sehen sind die verschiedenen Messer, mit denen man die Holzplatten bearbeitet, es finden sich die Materialien, die man zur Herstellung der Farbe benötigt, eine Einführung in die verschiedenen Druckformen – vom Weißliniendruck bis zum mehrfarbigen Irisdruck.
Und da ist man wieder beim Schaffen von Herzer selbst, denn er begnügte sich nicht damit, Hölzer mit eigenem Charakter zu entdecken, Hölzer, deren Maserung und Astlöcher eine Geschichte des Baums aufweisen. Herzer interessiert sich nicht so sehr für den Schnitt in das Holz, für ihn liegt das Faszinosum dieser Kunstform im Drucken. Grundsätzlich trägt er die Farbe von Hand auf, das ermöglicht ihm die unterschiedlichsten Experimente – mit der Viskosität der Farbe, der Art der Papiere.
Vor allem aber experimentiert er mit den Materialien der Druckstöcke. So ist es kein Wunder, dass Herzer sich keineswegs auf den Holzschnitt beschränkte. Jedes Material kann ihm als Anregung zu neuen Druckästhetiken bieten.
Zerfall, 2015
Nimmt er Metall als Druckstock, dann kann er die Farbe auf diesem neutralen Untergrund ungleich vielfältiger einsetzen als beim Holz. Da nähert er sich der Monotypie, bei der die Farbe in Form von Malerei oder Zeichnung auf das Trägermaterial aufgetragen und dann sorgfältig abgedruckt wird. Das sind keine vervielfältigten Drucke, das sind stets Unikate – und die Farbwirkung ist ungleich malerischer, als man es vom Holzschnitt her kennt. Auch begnügt sich Herzer nicht mit glatten Druckplatten. Halbleiterplatten aus einem Elektronikbetrieb lieferten ihm ebenso Impulse wie der Stimmstock aus einem ausgedienten Flügel.
Play Bach 88
Musik spielt bei ihm eine große Rolle, doch auch hier illustriert er nicht, im Unterschied zu seinem Kollegen Grieshaber, der etwa in seinem Zyklus zu Strawinskys Ballett „Feuervogel“ die Geschichte mit Figuren „erzählte“; Herzer gestaltete zum selben Musikstück den Rhythmus und den musikalischen Ausdruck in abstrakten Bildkompositionen.
Und stets gewinnt er der Farbe bei seinem Druckvorgang neue Qualitäten ab, experimentiert, indem er auf Holz malt, das nasse Ergebnis auf Papier druckt und mit diesem noch feuchten Druck wiederum eine weitere Holzfläche koloriert – ein genuiner Drucker unter den Holzschneidern und ein Maler unter den Druckgraphikern.
Obergasse 1, 72116 Mössingen-Öschingen. Sonntags 14.00 – 17.00 Uhr
(vom 15.12.-15.01. geschlossen)