Sexualität in der Kunst ist nahezu ubiquitär: Akte sind ein beliebtes Motiv seit der Antike, verführerische Frauen wie Manets Olympia sind Klassiker, die Bildwelt eines Picasso ist ohne körperliche Attraktion kaum denkbar. Weniger häufig findet sich Homosexualität in der Kunst, obwohl sie unter Künstlern nicht gerade selten ist. Caravaggio war es, bei Michelangelo wurde es gelegentlich vermutet, und im 20. Jahrhundert, zumal in der zweiten Hälfte, sind in der Kunstszene Schwule keine Seltenheit – was man an den Bildern durchaus auch ablesen kann. Caravaggios kraftvolle Körperlichkeit deutet darauf hin, die so genannten Jungen Wilden Salomé und Rainer Fetting tauchten mit ihren Bildern in die Schwulenszene ein, David Hockneys „Boys“, nicht selten am Swimmingpool, wurden zu seinem Markenzeichen. Weniger berühmt ist Patrick Angus, lange Geheimtipp, zumal er schon 1992 mit 38 Jahren an Aids starb. Er gilt sogar als Chronist der amerikanischen Schwulenszene. So jedenfalls kündigt ihn das Kunstmuseum Stuttgart an, das jetzt eine erste umfassende Retrospektive zeigt.
Als Chronisten kann man ihn durchaus sehen. Er muss sich extensiv in Schwulenbars, Stripteaseetablissements und Bädern aufgehalten haben, in denen Männer nackt ihrem Vergnügen nachgingen – dem Baden ebenso wie der körperlichen Liebe. Wir sehen nackte Tänzer auf der Bühne, umgeben von höchst interessierten Zuschauern. Und er begnügt sich nicht damit, Schwule in gleißendem Sonnenschein zu porträtieren, wie es David Hockney im sommerlichen Kalifornien gern tat. Er zeigt die ganze Realität. Boys do fall in love – Jungen verlieben sich durchaus lautet der Titel eines seiner Gemälde. Auf der Bühne stellt sich ein Tänzer zur Schau, die um die Bühne Herumsitzenden schauen scheinbar neutral, doch hinter der Neutralität verbirgt sich brennende Begierde – und es ist die Begierde von älteren Männern, alles andere als „Boys“.
Angus stellt die männlichen Körper samt ihren Genitalien gern und deutlich dar, er kaschiert nichts verschämt, aber er verherrlicht auch nichts, im Gegenteil. Sein Bild der Schwulenszene ist zwiespältig: Faszination durchaus, aber auch die Erkenntnis, dass hinter all dem oft eher der Wunsch nach körperlicher Liebe steckt als das beglückende Gefühl einer echten emotionalen Beziehung und Nähe. Wenn zwei junge Männer im Auto, fast noch Halbstarke, sich gegenseitig an den nackten Gliedern berühren, wirkt das eher wie ein vorsichtiges Sichherantasten an Sexualität. Wenn er das Treiben in einem Schwimmbad zeigt, dann sind die Blicke, mit denen die Anwesenden die nackten Körper in Augenschein nehmen, wichtiger als die Körper selbst. Mehr noch: Die Körper der nackten Tänzer sind oft erstaunlich vage mit Farbgewölk porträtiert, die Gesichter der Zuschauer ungleich realistischer, genauer. Es geht um Blicke, nicht um Gefühle.
Damit porträtiert Angus mehr als nur das Leben der Schwulen, damit sind seine Bilder zugleich ein Kommentar auf eine Gesellschaft voller Gaffer, ob es nun in der Nacktbar ist oder bei einem schweren Verkehrsunfall auf der Autobahn. Die Oberfläche zählt mehr als das eigentliche Wesen der Menschen und Ereignisse. Wenn Angus sich der bürgerlichen Gesellschaft widmet, und das tut er relativ häufig, auch wenn so mancher der in Anzügen Gekleideten schwul sein mag, dann zeigt er eine kalte Welt.
Gern porträtiert er Menschen in Aktion, bei Beschäftigungen, ob das nun bei der Arbeit ist oder daheim am Frühstückstisch. Viel miteinander zu tun haben sie nicht, gelacht wird auf diesen Bildern nicht, die Welt ist nicht zum Lachen. Insofern ist Angus der Chronist einer Welt der Kälte und Unpersönlichkeit.
Wenn er eine Stadtlandschaft gestaltet, dann sind die Hochhäuser zu abweisenden Betonblöcken mutiert. Fast will es scheinen, als sei jegliches Leben aus diesen Häusergebirgen verschwunden – so wie es letztlich auch in den Szenen aus dem Alltag verschwunden zu sein scheint. Solche Bilder zeigen, wie raffiniert Angus mit dem Pinsel umging. Die nackten Körper, alle Hautpartien sind farblich virtuos ausmodelliert, Mobiliar und Kleidung eher flächig starr. Angus ist ein Maler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Er mischt raffiniert figurale Malerei mit abstrakten Bildelementen. Eine große blaue Fläche mit einem Liegenden darauf kann man als Bett deuten, genau genommen ist es ein abstraktes Gemälde. Sein Selbstporträt mit Palette bietet nicht etwa einen Einblick in sein Atelier, es besteht zum großen Teil aus reinen Farbflächen, in die collagehaft das Spiegelbild des malenden Angus sowie eine Reihe von Farbtuben eingebaut sind, die linke untere Ecke des Bildes bleibt frei, als wäre das Bild unvollendet.
Vor allem ist Angus ein Musterbeispiel für Künstler der Moderne, die nicht einfach aus dem eigenen Ich schöpfen, sondern sich einreihen in die große Geschichte der Kunst, wie es Picasso, sein großes Vorbild, getan hat – allerdings mit seiner eigenen Sichtweise. Den Sündenfall stellt er dar als Adam and Steve, sich selbst zeigt er als Picasso, malt sogar eine eigene Version von Picassos Guernica, das er im Moma sehen konnte, wo es bis 1981 hing.
Er hält eine Begegnung mit David Hockney fest und lässt dabei Christopher Ishwerwood zusehen, eine Schwulenkultfigur. Manets Frühstück im Grünen, bei dem Manet – typisch Mann des 19. Jahrhunderts – nur die Dame nackt zeigt, die beiden Herren bekleidet, wird bei Angus zu einem nackten rein männlichen Trio. Hier zeigt ein Künstler, dass er Teil eines Kunsttradition ist, der man nicht nur bierernst begegnen muss.
So erweist sich Angus als weit mehr als der Chronist der Schwulenszene in Los Angeles. Schon gar nicht ist er ein „Toulouse-Lautrec des Times Square“ wie er auch genannt wurde. Seine Welt ähnelt eher der lieblosen eines Edward Hopper. Angus ist ein Maler unserer Gegenwart, die sich auch fünfundzwanzig Jahre nach seinem Tod nicht völlig gewandelt hat.
Patrick Angus – Private Show“, Kunstmuseum Stuttgart bis 8.4.2018. Katalog 149 Seiten 29,90 Euro