Ehe Péter Nádas Schriftsteller wurde, war er Fotograf. Daher hat ihn das Deutsche Literaturarchiv in Marbach eingeladen, das Fotoarchiv zu sichten – Abertausende von Fotos. Nádas fing beim Buchstaben A an und war sofort von den Fotos fasziniert, die aus dem Nachlass von H.G.Adler stammen. Adler war Schriftsteller, der das KZ Theresienstadt überlebte. Nach dem Krieg hat er darüber eine große Monographie geschrieben – und Adler war ein geradezu manischer Fotograf. 8000 Fotos enthält sein Nachlass, Péter Nádas hat daraus eine Ausstellung und einen biographischen Essay über Adler gemacht.
H.G.Adler. Blick durch Lärchen. Auf Crasta Fex. Foto: DLA Marbach
Als Erstes fiel Peter Nádas an dem gigantischen Fotokonvolut auf: Die Bilder zeigen eine leblose Welt. Adler fotografierte Landschaften, Bäume, Berge, nicht einen einzigen Menschen, lediglich ein foto zeigt zwei Kühe. Adler war kein Profi, technisch gesehen sind die Fotos gar nicht einmal gut: Adler hatte für die Entwicklung und Vergrößerung offenbar schlechte Labors beauftragt. Aber er hatte den Blick für das Wesentliche, mehr noch, Péter Nádas entdeckte, dass die Bilder geradezu künstlerisch strukturiert sind, bei Fotos, die ja nur die Realität wiedergeben, eine Seltenheit. Es sind für Nádas Fotos eines hochkultivierten, sensiblen Menschen, der seine geistigen Wurzeln und Vorlieben in der Romantik hatte.
Adler war mit dem Fotoapparat ein Meister der Verweigerung. Wenn er Bergmassive wie das Matterhorn fotografierte, dann nicht wie ein Tourist. Vielmehr nahm er den Gipfel aus weiter Ferne durch einen Vorhang aus lauter Baumzweigen auf. Auf einem Foto sehen wir fast ausschließlich Laub in Nahaufnahme – es wirkt wie ein Scherenschnitt. Auf einem anderen zeigt er angefressenes Laub: Blätter durchzogen von lauter Löchern – eine meisterhafte Naturstudie.
H.G.Adler. Kontraste. Foto: DLA Marbach
Und immer wieder erweist sich Adler als Graphiker unter den Fotografen. Bilder von dürren Ästen wirken wie abstrakte Zeichnungen. Adlers Fotos, so Nádas, sind hochkünstlerisch aufgebaut.
Womit sich Profifotografen offenbar schwer tun, gelang Adler offenbar mühelos. Zugleich meint Nádas bei diesen Fotos einem Menschen zu begegnen, der alles Persönliche, alles Emotionale mied.
Da Adler in all seinen Schriften beharrlich alles Persönliche, gar Emotionale vermied, entsprechen seine menschenleeren Landschaftsfotos ganz seiner Mentalität, es sind Bestandsaufnahmen einer Objektwelt. All das hat Nádas in einem umfangreichen Essay festgehalten. Das ist eine Studie über die Ausgegrenztheit der deutschen Juden in Prag, es ist eine Abhandlung über das Wesen der Fotografie, die Nádas selbst vorzüglich beherrscht, und es ist eine psychologische Studie über einen einsamen Menschen.
„Düsteres Idyll“ im Literaturmuseum der Moderne, Schillerhöhe 8, 71666 Marbach bis 21.2. Das Marbacher Magazin zur Ausstellung: 116 Seiten 18 Euro