Er lud Kunstbesucher in einen Raum, dessen Wände aus Eis bestanden und alsbald zu schmelzen begannen. Er schickte eine Prozession mit Trillerpfeifen, Autoreifen und Ölfässern durch die Straßen von New York. Vor allem wollte er, dass der Kunstbetrachter aktiver Teilnehmer der Kunst sei, reine Zuschauer wollte er nicht, denn für ihn war Kunst alles und alles Kunst: Allan Kaprow war der Vater des Happenings – aber er begann ganz traditionell als Maler. Eine Ausstellung in der Esslinger Villa Merkel zeigt seinen langen Weg hin zum Happening.
Ein paar Gitterlinien, grüne Flecke: Caged pheasant nannte Allan Kaprow dieses Gemälde 1956. Der Titel, der sich an die europäische Maltradition anlehnt, täuscht; die Leinwand ist hier nicht Malgrund für ein Stillleben, sondern Kampfarena für einen Künstler, der sich längst nicht mehr auf die Farbe beschränken lassen will, sondern Materialien wie Leder in das Bild integriert. Von hier war es nur noch ein Schritt zu den Happenings, mit denen er zwei Jahre danach beginnen sollte.
Der Weg zu seinem Bild Caged pheasant freilich war lang. Zehn Jahre zuvor war Kaprow noch ein fast traditioneller Maler. Aber auch da spielte die europäische Kunstgeschichte für den Amerikaner eine zentrale Rolle, vielleicht angeregt durch seinen Lehrer Hans Hofmann, der zwar in den USA maßgeblich die Entwicklung des abstrakten Expressionismus beeinflusste, seine Wurzeln aber in seiner zweiten Heimat in Frankreich hatte. So beginnt die Ausstellung mit einem Gemälde aus dem Jahr 1946: „Paul Klee’s Mist“ heißt es, deutlicher hätte Kaprow seine Inspirationsquelle nicht mehr benennen können. Es folgten Bilder im Stil von Braque, von Baumeister, von Modigliani.
Hier arbeitete ein junger amerikanischer Künstler die europäische Moderne buchstäblich ab, bis er dann zunehmend die Gegenstände auf seinen Bildern expressiv in reines Farbgeschehen auflöste, hierin sicher seinem Lehrer folgend.
Aber er zielte weiter. So tauchte alsbald zwar wieder die menschliche Gestalt auf seinen Bildern auf, doch sind die Figuren derart angeschnitten, dass sie nicht mehr dem entsprachen, was traditionell unter einem Figurenbild verstanden wurde. Die Gestalten sind angeschnitten, viel radikaler, als es Degas gemacht hatte, der Kaprow hier vielleicht als Vorbild diente. Manchmal fehlen Kopf und Füße, es bleibt am unteren Bildrand ein geradezu musikalisch rhythmisches Liniengewirr, in dem man kaum noch Beine erkennen kann.
Das Prinzip Zufall, das Kaprows zweiter Lehrer John Cage in alle Richtungen hin untersucht hat, ist hier Bild geworden: Geradezu willkürlich scheinen die Bilder beschnitten – und drängen auf diese Weise über die Bildränder hinaus. Sein Porträt der George Washington Bridge von 1955 scheint zwar noch dem Gegenständlichen verhaftete Malerei zu sein, aber bereits das Motiv der Brücke scheint das Bild rechts und links zu sprengen, der dunkle Purpur des Nachthimmels wirkt durch den Bildrand wie eingezwängt.
Geradezu systematisch räumte Kaprow mit allem auf, was zu einem Bild gehörte, so als habe er genug davon, als wolle er mit dem traditionellen Gemälde nichts mehr zu tun haben. Die Ausstellung zeigt einen äußerst konsequenten Kunstweg, der am Ende eben zu jenem Fasanbild führte, das bereits in den Raum hinaus strebte, eine Richtung, die Kaprow ja dann auch einschlug.
Die Villa Merkel zeigt erstmalig dieses Frühwerk – sie zeigt damit eine Ausstellung, die schon längst hätte realisiert werden müssen, denn sie beweist, dass Kaprows Happening die Kunstwelt revolutionierte, dass es aber nicht aus dem Nichts kam, sondern konsequent aus der Beschäftigung mit der Malerei der Moderne entstand. Das Bild bei Kaprow strebte, so weiß man jetzt, geradezu zwangsläufig von der Leinwand weg hinein in den Raum.
Allan Kaprow – Malerei 1946-1957, eine Werkschau. Villa Merkel, Esslingen, bis 28.5.2017