Kaum eine Technik ermöglicht derart dünne Linien wie die Radierung, doch wenn der Graphiker mit seiner dünnen Nadel Flächen gestalten will, stößt er bald an die Grenzen dieses Mediums, denn nur mit Tricks vermag er den Eindruck einer schwarzen Fläche zu erzielen, durch dichte Schraffuren dünner Linien. Das änderte sich erst, als Ludwig van Siegen 1642 die sogenannte Schabkunst entwickelte, die Mezzotinto, bei der die Metallplatte zunächst vollständig aufgeraut wird, sodass sich im Druck eine gleichmäßige schwarze Fläche ergibt. Für die helleren Partien wird dann die aufgeraute Platte abgeschabt und poliert. Eine Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart demonstriert, warum diese Technik sehr schnell populär wurde, vor allem in England, wo die Porträtkunst die Malerei beherrschte.
James Watson nach Joshua Reynolds, Sir Jeffery Amherst, 1766. Staatsgalerie Stuttgart
So ist es kein Wunder, dass sich in dieser Ausstellung recht viele Kopien von Gemälden befinden, denn auf diese Weise ließen sich die Unikate der Maler leicht und preiswert vervielfältigen, und auch wenn die Graphiker dabei auf die Farbe verzichten mussten, gelang den besten unter ihnen doch eine erstaunliche Vielfalt an Tonvaleurs.
Als James Watson das berühmte Porträt in Mezzotinto auf Papier gestaltete, das Joshua Reynolds von Sir Jefferey Amherst gemalt hatte, gelangen ihm auf der metallenen Rüstung des Feldmarschalls geradezu strahlend glänzende Lichtreflexe, während sich über dem Haupt des berühmten Feldherrn dunkle Wolken in samtigem Schwarz zusammenballen. Auf solchen Bildern intensiviert sich sogar noch der Hell-Dunkel-Kontrast gerade bei den schwarz-weißen Mezzotintoblättern. Dieses samtige Schwarz zeichnet die Technik aus, es hat eine Stofflichkeit, wie sie selbst Maler kaum zuwege bringen. 1832 kopierte Samuel Cousins Exeter ein Gemälde, das die Gräfin Gower und ihre Tochter zeigt. Man meint geradezu, den Samtstoff ihres üppig wallenden Kleids fühlen zu können – hier übertrifft die Mezzotintotechnik die traditionelle Radierung bei weitem.
Kein Wunder, dass die englischen Graphiker versuchten, die Vorzüge dieser populären Technik herauszustreichen. So reduzierten sie nicht selten figurenreiche Gemälde im Personal auf einige wenige Gestalten, verzichteten auf allzu viele Details, sodass das Flächige ihrer Kunst besser zur Geltung kam. Aber sie bewiesen auch, dass Kritiker unrecht hatten, die meinten, die „schwarze Kunst“ sei vieler Details unfähig.
Dass große Künstler auch ohne die neue Mezzotintotechnik in der Lage waren, nachtschwarze Radierungen zu Papier zu bringen, hatte kurz vor Erfindung der Mezzotintotechnik Rembrandt bewiesen. Schon auf seinen Gemälden zeigte er er sich ja als Meister der Dunkelheit, auch wenn sich inzwischen herausgestellt hat, dass seine „Nachtwache“ gar kein Nachtstück war. Doch sein „Mann mit dem Goldhelm“ wäre ohne den tiefschwarzen Hintergrund bei weitem nicht so eindrucksvoll. Rembrandt, Studierender an einem Tisch bei Kerzenlicht, um 1642. Staatsgalerie Stuttgart
Wenn Rembrandt zu Nachtszenen zur Radiernadel griff, dann konnte er Bilder gestalten, in denen eine einzelne Kerze die einzige Lichtquelle war, um die herum der ganze Raum in Dunkel fiel, sodass man die Figuren kaum erkennen konnte. Seine englischen Nachfolger erzielten mit der Mezzotintotechnik dieselbe Wirkung, wenn sie das Labor eines Alchemisten porträtierten, in dem die einzige Lichtquelle der gläserne Destillierkolben ist, in dem das erzielte Gebräu qualmt, oder eine Eisenschmiede, in der einzig die Esse die Figuren erhellt.
So war es nur konsequent, dass gerade Rembrandt vielen englischen Künstlern des Mezzotinto als Vorlage diente: „Rembrandts Schatten“ boten ein Faszinosum, dem sie sich nicht entziehen konnten. Doch in Rembrandts Schatten stand die englische Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts ohnehin. Sein Spiel mit Hell und Dunkel fand zahlreiche Nachahmer, Personen von hohem Stand ließen sich in den Posen porträtieren, in denen auch Rembrandt seine Gestalten (sich selbst inbegriffen) auf die Leinwand brachte. So ist die Ausstellung zugleich eine Einführung in die englische Kunst jener Zeit. Und sie macht deutlich, dass künstlerische Techniken ihre ganz konkrete Funktion haben, in diesem Fall vor allem die der Kopie von Gemälden – und dass eine solche Funktion auch obsolet werden kann. Als nämlich die Fotografie die einstmals vornehme Aufgabe der Malerei und Radierung übernahm, Menschen naturgetreu zu porträtieren, neigte sich die Blütezeit dieser Technik ihrem Ende zu. Umso wichtiger eine Ausstellung wie die über Rembrandts Schatten, denn sie zeigt, dass Mezzotinto, auch wenn es inzwischen als historisch zu gelten hat, eine Technik ist, die selbst Künstler der Moderne reizen könnte, so sie die Geduld und die Begabung hierfür haben wie etwa Edvard Munch.
Rembrandts Schatten. England und die Schwarze Kunst“, Staatsgalerie Stuttgart bis 8.1.2017