Es wirkt bedrohlich, kämpferisch – Rot signalisiert Gefahr, die roten Leinwände eines Barnett Newman wurden tätlich angegriffen – dabei ist die Farbe physikalisch eher langweilig, von allen Farben die mit der geringsten Energie. Entsprechend breit ist das Spektrum der Emotionen, die diese Farbe auslösen kann. Wirkt Zinnoberrot aggressiv, ist Scharlachrot mit seiner Tendenz zu Orange eher weich, und Karmin mit seinem purpurnen Schimmer kühl anmutend, auch gern als Signum der Macht verwendet. Kalt lässt die Farbe niemanden, für Goethe war sie die Farbe schlechthin, im Russischen ist rot ein Synonym für „schön“, in der Offenbarung des Johannes dagegen verwerflich mit der in Scharlach gekleideten Hure Babylon, ein Nachhall hiervon findet sich heute noch im Rotlichtmilieu. Eine Ausstellung, die sich dieser Farbe widmet, regt an und auf – derzeit im Museum Ritter, natürlich, wie alles in diesem Museum, in quadratischer Form.
Der Puls schlägt unwillkürlich schneller, die Energie im Körper steigt, man zieht aber zugleich auch die Schultern ein wie bei einer Beklemmung. Red Space nannte der in Stuttgart wirkende Künstler Platino seinen ersten Raum im Jahr 1979 – ein Kunstraum in jeglicher Hinsicht. Er lebte in ihm, er arbeitete in ihm, der Raum war selbst Kunstwerk. Zahlreiche solcher Spaces hat Platino hergestellt, immer wieder in Rot, und für die Ausstellung im Museum Ritter hat er eigens einen geschaffen und erweist sich als Experimentator in Sachen Rot. Glänzend, fast gleißend erscheint die Farbe auf den Cibachromeflächen, die Fotos wiedergeben, dagegen eher stumpf, mit anderen Farbschichten vermischt, die Fläche der Wand – in diesem Raum kann man das ganze Spektrum der Farbe erleben.
Wie sehr die Kunst der letzten stark hundert Jahre offenbar vom Rot bestimmt ist, zeigt die Installation des Koreaners Sang Yong Lee. All about red, alles dreht sich nur um Rot – und damit meint er seine ganz spezifischen Zitate aus der Kunstgeschichte: Für die verschiedensten Rottöne seiner insgesamt 160 quadratischen Farbplatten (die Ausstellung zeigt eine Auswahl) suchte er die Entsprechungen in Gemälden etwa von Jasper Johns, Paul Klee oder Piet Mondrian. Die roten Farbfelder sind gewissermaßen in nuce eine Kunstgeschichte der letzten 130 Jahre, eine Art Musée imaginaire.
Der Titel der Ausstellung ist einer Arbeit von Günther Uecker entlehnt: Rot kommt vor Rot kommt vor Rot. Die seltsame Wiederholung folgt dem seriellen Charakter der Arbeit. Uecker hat lange Nägel in Reih und Glied durch eine dicke Holzplatte getrieben. Die Farbe verweist auf das Gefahrenpotenzial, das Rot in sich birgt, denn im Unterschied zu seinen sonstigen Nagelbildern, bei denen der Betrachter die Nagelköpfe sieht, weisen hier die Nagelspitzen aggressiv auf ihn, und das „t“ im Wort Rot hat die Form eines Kreuzes.
Assoziation mit Blut findet sich an derselben Wand. Von einem Quadrat aus lauter abgeschnittenen weißen Röhrchen fallen zwei rote Schläuche zu Boden – Anspielungen an Intensivstationen, an Blutkreislauf, an Leben – Birgitta Weimer lotet das Assoziationsspektrum der Farbe aus.
Ganz anders Bernard Aubertin, der eine mit Löchern ausgestanzte Metallplatte dem Feuer ausgesetzt hat. Das Material ist an dieser Stelle verkohlt, schwarz, war aber einmal rot, so rot wie der glühende Lavakern unserer Erde.
Nicht alle Arbeiten weisen eine derartige Stringenz auf. Natürlich würden die geometrischen Arbeiten mit roten Pfeilen auf weißem Grund von Bob Bonies anders wirken, als wenn sie grün oder blau wären, doch die Komposition sähe nicht anders aus.
Rot wird auch als reine Farbe analysiert. Günter Fruhtrunk macht deutlich, wie die Wirkung der Farbe intensiviert wird, wenn sie von ihrer Komplementärfarbe Grün umrahmt ist. Geradezu plastisch scheint sich der rote Farbstreifen in der Bildmitte nach vorn zu drängen.
Eine Fläche aus einem Rot kann geradezu magische Anziehungskraft entfalten. Wenn Gotthard Graubner zahlreiche Farbschichten auf eine Art Kissen aufträgt, das die Farbe in sich aufsaugt, dann bleibt am Ende der Eindruck reiner Farbpigmente, reiner Materie übrig.
Ohne solche Pigmente kommt Stefanie Lampert aus. Wie Platino hat sie eigens für die Ausstellung einen Raum geschaffen, selbstverständlich in Rot, doch diesmal ist die Farbe nicht auf einen Farbträger wie Leinwand gemalt, sondern besteht aus purem projiziertem Licht. Der Raum scheint sich zu öffnen, Farbe wird transparent und macht deutlich, was Farbe eigentlich ist, nämlich ein optischer Sinneseindruck, der durch Licht hervorgerufen wird.
„Rot kommt vor Rot“, Museum Ritter, Waldenbuch bis 17.9.2017