Ein Gedicht sei wie ein Gemälde, behauptete in der Antike Horaz, und ihm folgten jahrhundertelang die Kunst- und Literaturtheoretiker, bis Gotthold Ephraim Lessing ihnen widersprach. Die Malerei ordne ihre Zeichen, also Farben und Formen, nebeneinander an, also im Raum, die Dichtung die ihren hintereinander, also in der Zeit, und das gilt auch für alle darstellenden Künste. Wenn nun das Kunstmuseum Ravensburg Malerei und Animationsfilme einander gegenüberstellt, ist das von besonderem Reiz, allerdings auch nicht ohne Risiko. Der Maler ist Asger Jorn, einer der herausragendsten Vertreter der Künstlergruppe CoBrA, die Filme stammen von Nathalie Djurberg, die mit dem Komponisten Hans Berg zusammenarbeitet.
1964 schuf Asger Jorn eine Hommage auf seine Künstlerfreunde, er malte Eine Cobra-Gruppe, und das Bild scheint in der Tat Lessing Recht zu geben. Zu sehen sind Masken, Köpfe, Tierkörper, also Gegenstände, reglos, eben Objekte der Malkunst. Das Bild zeigt aber auch, dass der Einfall des Kunstmuseums Ravensburg, Asger Jorns Gemälden die Animationsfilme von Nathalie Djurberg gegenüberzustellen, perfekt war,
denn auch ihre Filme sind bevölkert von Fantasiewesen, die nicht selten Masken gleichen. Da kann ein Haus ein Gesicht bekommen und die Zähne blecken, da wirken selbst Menschenköpfe eher wie Fantasiefratzen, die sich eine Zigarette zwischen die Zähne stecken. Es ist vielleicht kein Wunder, dass sowohl Jorns Bildwelt als auch die Filme von Djurberg in der skandinavischen Welt ihre Wurzeln haben, in der die Märchen weniger von Hexen und Zwergen besiedelt sind als von Trollen, die eher einem Reich der Nacht angehören denn der Welt von Hänsel und Gretel. Masken tauchen bei Jorn immer wieder auf, und vor allem Tiere. Das Konfliktpotential zwischen Menschen, meinte er einmal, lasse sich durch fantastische Tiere besser ausdrücken als durch das Malen von Situationen, und so sehen wir vor allem Gesichter, die sich nicht exakt definieren lassen. Eines ist da mitten in eine Alpenlandschaft eingezeichnet – das kann man als Lockung deuten, so der Titel des Bildes, das kann man aber auch als gespenstische Erscheinung im gleißenden Alpensonnenlicht interpretieren oder als symbolische Darstellung, wie aus der Alpenlandschaft im Kopf des Menschen das Bild einer solchen wird. Jorns Bilder sind vieldeutig und vielschichtig, und hier lösen sie sich von dem traditionellen Bildbegriff eines Lessing, denn durch die Vieldeutigkeit werden sie lebendig. Als ob die Schwäne sängen heißt ein Gemälde von 1963. Es ist alles da, was der Titel erfordert: Flügel, eine Art langer gebogener Hals, Augen, ein geöffneter Schnabel – doch ist das alles viel mehr als nur ein angedeutetes Porträt eines Vogels, es ist nicht einfach nur das durch den Titel angedeutete Objekt, wie Lessing behaupten würde, sondern es ist, und das gelingt natürlich erst einer Malerei des 20. Jahrhunderts, die sich die Erkenntnisse des Expressionismus zu eigen gemacht hat, ein Geschehen. Fast meint man, den Gesang zu hören, dem Schwanenhals bei wiegenden Bewegungen beim Singen zusehen zu können. Das Bild ist ein unaufhörliches Wogen der Farben und Pinselstriche, denn letztlich ist ein Gemälde ja nichts anderes, die gegenständliche Assoziation scheint nebensächlich.
Ähnliches findet sich auch in den Filmen von Nathalie Djurberg. Da entsteht ein Krokodil aus einer diffusen Masse, da scheinen sich Gestalten zu verwandeln, in Nichts aufzulösen. Diese Filme beschreiben zwar durch ihre Titel wie Jorns Bilder Situationen und Aktionen, sind aber in Wirklichkeit zugleich auch das Gegenteil davon: Hier ist alles in Auflösung und Neubildung, also in Metamorphose, begriffen…
… und damit erleben wir in ihnen dasselbe, was Jorns Bilder ausmacht. In einem seiner Bildtitel taucht das Wort „défiguration“ auf; damit ist das Wesen dieser Malerei angesprochen:
Es handelt sich um das Entstehen von Bildwelten aus dem Geschehen von Pinsel und Farbe, es sind also keine statischen Bilder als vielmehr Ereignisse, und damit der Zeitkunst Film nicht fern. Bei Jorns Bildern, das macht gerade die Kombination mit den Animationsfilmen von Nathalie Djurberg deutlich, spürt man die Zeit des Malakts, sie halten diese Zeit, in der sich das Farbgeschehen ereignet, geradezu fest. Damit freilich sind sie zugleich das Gegenteil von Djurbergs Filmen, denn im Film findet das Geschehen tatsächlich in der verlaufenden Zeit statt. Das wird am deutlichsten in den Abbildungen des vorzüglichen Katalogs, in dem es gelungen ist, die inhaltliche Verwandtschaft der Filmbilder und der Gemälde durch perfekte Auswahl und Gegenüberstellung zu verdeutlichen. Da kann man aber auch den Wesensunterschied sehen: Die Filme sind in den Einzelbildern erstaunlich statisch, die Figuren, die im zeitlichen Ablauf so oft Modifikationen unterworfen sind, bestehen aus Einzelmomenten. Jorns Gemälde dagegen sind beim Betrachten ein einziger Geschehensablauf, das Auge folgt den Windungen der Pinselstriche, den Zusammenballungen und Verläufen der Farben, und das in einem einzigen Augenblick, wozu der Film mehrere Minuten benötigt.
„MONDJÄGER. Nathalie Djurberg & Hans Berg im Dialog mit Asger Jorn“, Kunstmuseum Ravensburg bis 16.2.2020. Katalog 180 Seiten, 28 Euro