Man kann sie als Spiel für Kinder inszenieren, als Trickfilm, als Science Fiction, oder man kann sie in die Zirkussphäre verlegen: Mozarts Zauberflöte verweigert sich kaum einem Inszenierungsstil, weil sie alles in sich birgt: Sie ist Märchenspiel und Rachedrama, Weihespiel und ein Drama um Liebesleid Liebesglück und. An der Oper Stuttgart hat Regisseur Peter Konwitschny sich nicht für einen bestimmten szenischen Ansatz entschieden, er hat die Oper in jedem Detail ernst genommen und eben ihre Vielfalt der Ausdrucksebenen auf die Bühne gebracht.
Es beginnt wie in einem Kinderspiel im heimischen Wohnzimmer, vielleicht bei einem Kindergeburtstag. Prinz Tamino wird von einer Schlange verfolgt, doch die ist nichts anderes als ein zusammengerollter Teppich. Kein Kind hätte Mühe, darin ein gefährliches Riesenreptil zu erkennen, Erwachsene tun sich mit derlei Fantasiesprüngen schwerer. Wenn der Prinz dann erwacht – er hat sich mit einem Sprung in den Orchestergraben vor dem Untier gerettet -, fragt er verwundert, wo er denn sei. Die Musiker grinsen nur, na wo wohl, in ihrem allabendlichen Reich. Und wer hier der Herrscher sei – alle zeigen auf den Dirigenten. Das ist innerhalb weniger Minuten Spiel mit der Fantasie, mit den Realitätsebenen und einer Überschreitung der Bühnenrampe, die ja als Trennlinie zwischen Bühnenwelt und Zuschauerrealität gilt. Virtuoser kann man nicht mehr mit den Bühnensphären jonglieren, und so geht es weiter, Schlag auf Schlag. Wenn Tamino Paminas Medaillon in Händen hält und das Bildnis „bezaubernd schön“ findet, dann wird aus Paminas Porträt ein Video einer Prinzenhochzeit, der zwischen Prinz Charles und Lady Di, als noch alles in Ordnung schien zwischen den beiden. Dieser Tamino verliebt sich nicht vor dem kleinen Bildnis in die Prinzessin, sondern in die Vorstellung einer Hochzeit mit einer solchen, und also werden auf dem Videoschirm aus den Gesichtern der englischen Hoheiten die der beiden Sänger.
Konwitschny hat jede einzelne Szene nach ihrem möglichen Sinn befragt und stets neue Antworten bekommen. Wenn Sarastro als Herrscher im Priesterreich auftritt, dann eben tatsächlich als Herrscher, und also hält er eine von den Medien vielbeachtete Rede, natürlich in seiner Muttersprache, und da der Sänger des Sarastro in Stuttgart Koreaner ist, hält er sie eben auf koreanisch, was sogleich nach Medienart synchronisiert wird, ehe er seine große Arie intoniert, diese dann auf deutsch. Der Weihesphäre der Tempelgesellschaft freilich mistraut der Regisseur.
Wenn Pamina und Tamino ihre Feuer- und Wasserprobe durchlaufen, dann greifen viele Regisseure in ihrer Verlegenheit zu rotem bzw. blauem Licht. Die Prüfung soll lebensgefährlich sein, heißt es, doch sie besteht nur aus einer zweimaligen Wiederholung einer kurzen Flötenmelodie. Bei Konwitschny flimmert zweimal ein Film über die Leinwand, er zeigt den Lauf des Lebens buchstäblich von der Wiege bis zur Bahre – das ist nun wirklich eine lebensgefährliche Prüfung. Und wenn die beiden Geharnischten mit Stentorstimme auftreten, dann schweift die Filmkamera in die Galaxien, denn der Gesang dieser Geharnischten ist nicht von dieser Welt.
So deutet man mit Konwitschnys Hilfe jede Szene neu, verleiht ihr eine plausible Deutung und wird sie dank dieser Gedankenarbeit so schnell nicht vergessen. Und das alles ist keineswegs nur heiteres Spiel. Monostatosist in dieser Inszenierung tatsächlich eine Bedrohung für Pamina, und zu Recht will sie der von Sarastro auferlegten Trennung von Tamino vor der gefährlichen Prüfung nicht Folge leisten.
Papagenos präsentiert seine Arie vom Männlein oder Weiblein als Mitwirkender in einer show nach Art von DSDS, und wenn er mit seiner Papagena vom Kindersegen schwärmt, dann zeigt die junge Dame auch pantomimisch, was es heißt, eine Geburt nach der anderen zu überstehen.
Konwitschny hat die Inkohärenz der mozartschen Musiknummern ernst genommen und damit vielleicht die Oper besser gewürdigt, als es mit einem wie auch immer gearteten inhaltlichen Regieansatz geglückt wäre. Er zeigt dem Zuschauer die Gedankenarbeit, die hinter einer Regie steckt, und fordert ihn auf, diese Arbeit gewissermaßen rückwärts nachzuvollziehen. So macht er ihn zum Mitspieler in der Regie und damit zum kreativen Opernbesucher, sofern dieser dem Angebot folgt.