Seine Sprache klingt, als handle sie vom Alltäglichsten der Welt, und doch gibt jeder seiner so alltäglich wirkenden Sätze Rätsel auf. Franz Kafka entführt den Leser schon mit wenigen Worten in eine Welt des Alptraums, in dem sich der Träumer ja auch in aberwitzige Situationen versetzt sieht, die jedoch alle paradoxerweise einer in sich schlüssigen Logik zu folgen scheinen. Und wie im Traum gibt es auch bei Kafka keine Auflösung der Rätsel, vor denen sich die Figuren und die Leser gestellt sehen. Gerhard Walter Feuchter hat diese Rätselhaftigkeit in einem großen Zyklus in archaisch wirkende Bilder gefasst: „Kafka !!!“
Der Zyklus beginnt so lakonisch wie ein Satz von Kafka. Schematisch angedeutet steht da eine menschliche Gestalt mit eckigen Schultern und herabhängenden Armen. Darüber ist mit roter Linie der Umriss eines Käfers gezeichnet. So lakonisch schlicht und wie selbstverständlich beginnt Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“: „Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.” Das ist Kafka, der Erzähler. Die zweite Zeichnung in Feuchters Zyklus zeigt, ähnlich schematisch, eine gezackte rote Linie in einem Kasten aus schwarzen Linien: Ein Unfallopfer, mit dem Kafka täglich in seinem Brotberuf zu tun hatte, als Angestellter einer Arbeiterunfallversicherung. Und dann ein Damenkörper, wie man ihn in alten Schneiderkollektionskatalogen findet – die dritte Seite von Kafka, sein problematisches Verhältnis zu den Frauen.
Feuchter verzichtet auf alle Details, er beschränkt sich wie Kafka in seiner Prosa auf die wesentlichen Dinge. Dadurch deutet er Realität an und hat sie doch längst schon verlassen.
Feuchter findet Bildsymbole für Kafkas Sprache. Wenn er – dies könnte ein vierter Aspekt von Kafka sein – dessen Verhältnis zum Vater darstellt, so zeigt er zwei leicht versetzt übereinander gemalte Männerkörper, ähnlich schematisiert wie bei seiner Zeichnung zu Gregor Samsa. Der vordere Körper ist etwas kleiner – der Sohn -, der hintere höher und etwas größer, vor allem pechschwarz, und die Umrisslinie seines Körpers geht durch den Leib des Sohnes: Enger kann man kaum mehr miteinander verknüpft und verschweißt sein. Wenn Feuchter in einem seiner zahlreichen Bilder zu Kafkas Roman „Der Prozess“ die Verhaftung gestaltet, so begnügt er sich damit, zwei Männerfiguren am Bildrand anzudeuten, deren Arme sich vor dem Körper einer dritten Figur kreuzen. Die Männer, Symbol der Gewalt und Macht, sind pechschwarz wie der Vater auf dem Bild zuvor, der Verhaftete mausgrau wie der Sohn im Vater-Sohn-Bild. Und die beiden gekreuzten Arme deuten an: Hier gibt es kein Entrinnen, wie es ja auch in Kafkas Alptraumwelt für die Protagonisten kein Entrinnen gibt, obwohl sie nicht einmal wissen, warum sie in ihrem gewohnten Alltagstrott aufgehalten werden.
Feuchter gestaltet Bildwelten mit schlichten Elementen, die nicht selten an Piktogramme erinnern – Symbole für Menschen und Alltagssituationen, ohne dass es Menschen oder Alltagssituationen wären. Die Figuren tauchen wie aus dem Nichts auf, man fragt sich, woher sie kommen, was sie wollen, und erhält keine Antwort, ganz so wie der Protagonist in Kafkas Erzählung „Vor dem Gesetz“.
Es sind zudem Bilder, für die Feuchter die Papiere selbst herstellt, aus dicker Pulpe, sodass die Zeichnungen archaisch wirken wie aus einer anderen, fremden Welt – kongeniales Bildmaterial für Kafkas Rätsel, die wie der Alltag daherkommen und doch nicht auflösbar sind.
„Gerhard Walter Feuchter: Kafka!!! Schriftsteller-Jurist-Privatmensch. Papierarbeiten“, Kloster Heiligkeuztal bis 29. 5. 2016
Hierzu findet sich auf Youtube ein Film von Horst Simschek und mir