Jeder Künstler hat sich wohl irgendwann einmal mit dem eigenen Körper beschäftigt und selbst porträtiert, keiner wohl so oft wie Rembrandt, der sein Ich in allen Lebensaltern, Stimmungslagen und Befindlichkeiten festgehalten hat und dabei durch die äußere Haut in sein Inneres vorgestoßen ist. Mit einer ähnlichen Konsequenz hat sich im 20. Jahrhundert die Österreicherin Maria Lassnig mit sich beschäftigt, schließlich kennt man niemanden so gut wie sich selbst. Allerdings ging sie nicht den Weg von außen nach innen, sondern versuchte, gleich das Innenleben zu erfassen und dafür Bildsymbole zu erfinden. „Körperempfindungsbilder“ nannte sie die Ergebnisse. Die Staatsgalerie Stuttgart zeigt nun eine Auswahl ihrer Arbeiten.
Wenn es um das eigene innere Ich ging, war Maria Lassnig nicht zimperlich. So reduzierte sie auf einem großformatigen Bild von 1968 ihr Ich auf das, was für Romantiker das Wichtigste am Menschen ist, das Herz. Allerdings verstand sie es nicht metaphorisch, sondern ganz körperlich, als Muskel, und betont das Lebensnotwendige dieses schlagenden Herzens, indem sie es in ein an Vegetation erinnerndes grünes Ambiente einbettet. Und Farben als Ausdruck für innere Befindlichkeit waren zentral für ihre Malerei. So arbeitete sie nicht mit Rot, Grün oder Blau, sondern mit „Geruchsfarben“, „Gedankenfarben“, „Qualfarben“, „Quetschfarben“, sogar „Krebsangstfarben“. Somit wird die Farbe unmittelbar Trägerin einer Empfindung, die vom Körper herrührt, aber stets in die Empfindung übergeht.
Aber ihr Ich muss nicht Herzform annehmen, es kann sich auch als Sessel fühlen. Immer wieder greift Maria Lassnig zu Gegenständen, um ihr Inneres auszudrücken. Sie objektiviert es auf diese Weise gewissermaßen. Wenn es um die Fruchtbarkeit geht, dann drückt sich das im Bild in Form von Früchten aus, nicht etwa durch den Bauch einer schwangeren Frau, wie andere Künstler es wohl darstellen würden. Und als sie sich vermutlich einmal ratlos fühlte, malte sie sich im Garten mit einem Brettl vorm Kopf, und zwar buchstäblich so, dass man den Kopf nicht sieht. Das alles wirkt zumal im Verein mit den Bildtiteln sehr logisch, aber auch ein wenig surreal. Nicht zufällig erinnern einen ihre manchmal amorphen zerfließenden Formen an einen Salvador Dalí, allerdings auch an einen Francis Bacon, der ähnlich wie Maria Lassnig Befindlichkeiten der Figuren in Verzerrungen der Körper und raffinierte Farbgestaltungen zum Ausdruck brachte.
Die Ausstellung präsentiert die Lassnig-Sammlung des Galeristen Helmut Klewan. Das erklärt, weshalb nur zehn Gemälde zu sehen sind, die zudem alle aus den sechziger Jahren stammen. So ist dieser Teil der Ausstellung, wiewohl er die bekannte Maria Lassnig, nämlich die Malerin, zeigt, alles andere als repräsentativ.
Spannend wird die Ausstellung durch den ungleich umfangreicheren graphischen Teil. Hier wird deutlich, dass die eigentliche Stärke dieser Künstlerin die Zeichnung war. Trägt sie als Malerin die Farbe eher flächig und ein wenig plakativ auf, zeigt sie sich mit dem Stift in der Hand als sensible, feinnervige Künstlerin, die jede Strichgebung perfekt beherrscht.
Auch hier drückt sie ihr Inneres mit Objekten aus der Alltagswelt aus. So porträtierte sie sich in einem Herbstselbstporträt viermal in Aquarell und Gouache, und jedesmal erinnert ihr Kopf an die Herbstblume schlechthin, die Aster. Sie spielt mit Fragen des Geschlechts, wenn sie sich im Rasierspiegel zeigt und im Bildtitel gesteht: Ich rasier mich nur einmal am Tag.
Ihre Selbsterkundung führt sie auch in die Welt der Vorfahren, wenn sie sich Großmutter und Großvater als Embryo vorstellt. Klaustrophobien werden spürbar im Selbstporträt hinter Gitter.
Im Unterschied zum Gemäldeteil dieser Ausstellung zeigt der graphische die ganze Lassnig, und also auch ihre frühen Bilder im surrealistischen Stil – eine Phase, die, wie die meisten Zeichnungen deutlich machen, ihr Denken und bildnerisches Gestalten bis zu ihrem Tod geprägt hat, was sich auch im Sprachwitz niederschlägt. So betitelt sie eine Zeichnung als Flowerbag, was in der Übersetzung auf dem Etikett neben der Zeichnung denn auch korrekt als Blumensack wiedergegeben wird. Doch porträtiert hat Maria Lassnig auf der Zeichnung das, was im Englischen ebenso ausgesprochen wird, einen Flourbag, Mehlsack.
Noch skurriler wird es bei ihrem brief desire. Im Ausstellungsbetrieb hat sich dafür die Übersetzung kurzes Begehren durchgesetzt, doch die Zeichnung zeigt ein „Briefbegehren“, denn sehnsuchtsvoll schiebt sich eine Hand auf einen Brief zu. Solch subtiler Witz und solche Vielschichtigkeit fehlt den Gemälden eher. Der wahren Maria Lassnig kommt man in der Graphik am nächsten. Hier wären noch manche Entdeckungen zu machen.
„MARIA LASSNIG. Die Sammlung Klewan“, Staatsgalerie Stuttgart bis 28.7.2019