Der Mensch sei dem Menschen ein Wolf, so formulierte es Thomas Hobbes vor knapp vierhundert Jahren, jeder kämpfe gegen jeden. Zu egoistisch seien die Menschen, sodass jeder nur seinen Vorteil im Sinne habe, und zwar aus ganz natürlichen Gegebenheiten heraus, schließlich müsse sich ein jeder selbst erhalten. Entsprechend haben die Künstler ihr Weltbild in ihren Werken gezeichnet. William Shakespeares Stücke sind voller Gräueltaten, Francisco de Goya geißelte die Übel des Kriegs zur Zeit Napoleons, und Picasso setzte der Bombardierung Guernicas ein grausiges Denkmal. Dass Gewalt nicht nur in Zeiten des Kriegs herrscht, sondern das ganz Leben durchzieht, zeigt eine Ausstellung in der Städtischen Galerie Böblingen.
Da bohren sich Schwerter durch Körper, Blut spritzt, Leiber im Schützengraben sind in sich verknäult, der Schmerz und die Verzweiflung ist den Gesichtern der Soldaten anzusehen: Alfred Hrdlicka sah Gewalt, wohin er nur blickte, ob im Bauernkrieg oder bei den Türken vor Wien. Besonders erschütternd ist Immanuel Knayers Szene im Schützengraben, dieas nicht nur die verzweifelt in engem Raum Kauernden zeigt, sondern neben ihnen auch einen toten Kameraden, dessen Körper bereits verwest, der jedoch wegen der Feindbelagerung nicht hatte weggeschafft, geschweige denn beerdigt werden können. Otto Dix zeichnete ein Bild der Gewalt in seinen Szenen aus dem 1. Weltkrieg, die er selbst miterlebt hatte, und Dix war nicht der einzige Künstler, der unmittelbare Erfahrung mit kriegerischer Gewalt hatte. So wurden gerade im Jahrhundert der zwei Weltkriege die Künstler regelrecht Chronisten der von Gewalt geprägten Ereignisse. Albert Birkle porträtierte einen Zug nach Kattowitz und setzte den hier zwischen 1939 und 1941 deportierten über achttausend Juden ein Denkmal. Reinhold Nägele zeigt französische Kriegsgefangene bei der Zwangsarbeit in Böblingen, wo er im 1. Weltkrieg stationiert war.
Auf anderen Bildern wird das aktuelle Geschehen sublimiert zu allgemeineren Darstellungen, die gleichermaßen ihren Ursprung in Kriegserlebnissen hatten.
Hans Fähnle malte vordergründig ein Bild von einer Bombennacht im Luftschutzkeller, doch sein Bild ist letztlich ein erschütterndes Porträt von Menschen, die keine Zukunft mehr sehen, die nur noch die Blicke nach innen gelenkt haben, und selbst die, die uns mit offenen Augen anzublicken scheinen, schauen ins Leere. Besonders ergreifend ist eine Pietà von Gérard Krimmel, die im Grunde eine Kriegsszenerie zeichnete mit Bergen von Leichen, darin in der Mitte eine Mutter mit ihrem toten Kind.
Natürlich fehlt auch die Bibel nicht als Quelle von Gewaltbildern. Christian Landenberger gestaltete jene allererste Gewalttat, bei der sich der Mensch seinem Bruder als Wolf zeigt, und die dem Menschen ein unauslöschliches Mal auf die Stirn gedrückt haben soll: den Brudermord an Abel aus purem Neid. Der Jüngste Tag zeigt sich bei Gottfried Graf als todbringender gleißender Lichtstrahl, und selbst Sappho, die antike Dichterin, die in ihren Gedichten die erotische Liebe verherrlichte, erlebt Gewalt, Gewalt, die sie durch Selbstmord an sich selbst ausübt. Nicht nur andere Menschen üben Gewalt an Menschen aus, Gewalt ist auch ein Teil des Menschen im Kampf mit sich selbst – und Gewalt lassen auch Götter walten, die Prometheus zum täglichen Verbluten verurteilten, nur weil er den Menschen das Feuer geschenkt hatte. Gewalt, so scheint es, kennt keine Grenzen. Selbst die Natur ist voller Gewalt, wie Ida Kerkovius auf einer faszinierenden Kohlezeichnung am Beispiel eines Wirbelwinds zeigt.
Auch die bildenden Künstler selbst sind vor Gewalt gefeit. Jerg Ratgeb wurde im Bauernkrieg wegen eindeutiger Parteinahme gevierteilt. Peter Neubert hat seinem Künstlerkollegen aus dem 16. Jahrhundert vier Bildtafeln gewidmet, auf denen er Gewalt in der Antike, verübt an Jesus von Nazareth, parallel setzt zu Gestalten des 20. Jahrhunderts wie den hingerichteten Mitgliedern der Weißen Rose.
Gewalt kann aber auch ausgeübt werden, ohne dass jemand Hand anlegen müsste. Sie kann in einem Blick der Augen liegen, wenn jemand lüstern auf zur Schau gestellte halbnackte Körper blickt, wobei auf dem Bild von Kurt Weinhold nicht ganz klar ist, ob der Herr darauf ins Schaufenster blickt, in dem gerade Modepuppen in Korsetts zur Ausstellung drapiert werden, oder ob er Teil der Szene ist, die von der mondänen Dame der 20er Jahre lüstern angestarrt wird.
Kein Wunder, dass in einer solchen Welt Endzeitvisionen aufkommen. Was, so fragte sich Hans Bäurle, haben die Menschen aus dem anfänglichen Paradies gemacht. Mit der Kreuzigung Christi, die er im Mittelteil seines Triptychons andeutet, ist bereits der Anfang vom Ende gemacht. Die dritte Bildtafel besagt, dass das 20. Jahrhundert mit seinen Atomkraftwerken schließlich das Ende einer einst blühenden Landschaft besiegelt hat.
Was bleibt ist der Verlust jeglicher Hoffnung, ist entweder das Abgleiten in Wahnvorstellungen wie bei Conrad Felixmüller oder schiere Verzweiflung wie bei Ernst Barlach.
„Bildgewalt. Darstellungen zwischen Wahn und Wirklichkeit“, Städtische Galerie Böblingen bis 2.4.2018, Katalog 142 Seiten, 20 Euro
Sehr geehrter Herr Zerbst,
gerne würde ich in Zukunft Ihrem Kulturblog folgen und mich über eine Benachrichtung neuer Beiträge via E-Mail sehr freuen.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Zügel