Das Haus als Maß aller Dinge – der Bildhauer Werner Pokorny

Man nehme ein Quadrat und setze darauf ein Dreieck – fertig ist ein Haus, jedenfalls in seiner rudimentären, dafür aber von jedem sofort erkennbaren Form. Seit Jahrzehnten widmet sich der Bildhauer Werner Pokorny diesem Phänomen, und er beschränkt sich auf die Grundform, wie sie von jedem Kind zu Papier gebracht werden kann. Gerade diese Reduktion aber ist die Quelle einer Vielfalt, die er im Lauf der Jahre in Holz und Stahl diesem Motiv abgerungen hat. Eine Ausstellung in der Stuttgarter Galerie Schlichtenmaier zeigt die Verästelungen, die seine Fantasie ausgehend von dieser Grundform entwickelt hat.

Stamm/Haus, 1982 © Werner Pokorny /VG Bild-Kunst, Bonn

                         

Am Anfang war das Holz, wie die Natur es hervorbringt. Pokorny arbeitete mit Ästen und Stammteilen, die noch von der Rinde umgeben waren. So nahm er sich 1982 ein Stück Stamm, aus dem er mit der Kettensäge lediglich oben eine Vierkantform herausgearbeitet hat – fertig war das Haus, ein Stammhaus gewissermaßen, Pokorny nannte es noch anspielungsreicher: „Stamm/Haus“, und das entspricht ganz genau dem, was er da aus dem Holzstamm herausgearbeitet hatte, denn die Arbeit ist vielschichtiger, als man auf den ersten Blick meinen könnte. Aus der Nähe betrachtet zeigt sich, dass er unterhalb der banalen Hausform mit der Säge zahlreiche schräge Schnitte in das Holz gesägt hat, sodass sich das Haus buchstäblich aus dem Stamm herauszuschälen scheint, dass es gewissermaßen in dem Stamm bereits von der Natur angelegt war und am Ende wie bei einer Blume als Blüte eben das Haus hat entstehen lassen: Das Haus wächst aus dem Stamm hervor.

Wenn man sich länger mit Werner Pokornys Arbeiten auseinandersetzt, dringen die Gedanken und Assoziationen in Bereiche vor, die mit der vordergründigen Hausform nicht mehr viel gemein haben, die mit jedem Gedankenschritt philosophischer, symbolischer werden. Das gilt bereits für die Hausform als solche. Haus – das ist Geborgenheit, Privatheit, Sicherheit, vor allem, wenn es wie bei seinen Stahlarbeiten aus dicken, geradezu tresorartigen Wänden zu bestehen scheint. Haus aber kann auch Einengung, Gefängnis heißen – die Assoziationen, zu denen Pokornys Arbeiten anregen, gehen oft in unterschiedliche Richtungen, lassen sich selten auf eine Aussage festnageln.

Sicherheit aber ist nie zuverlässig oder gar selbstverständlich, und so findet sich bei Pokornys Hausskulpturen immer wieder auch der Aspekt der Gefahr. Schon die Titel deuten es an: Zwar ist stets das Haus zu erkennen, doch wichtiger als die Urform der Behausung ist in solchen Arbeiten die Irritation.„Durchbrochen“ heißen solche Arbeiten dann, und die Öffnungen, die bei einem Haus gemeinhin auf Tür und Fenster beschränkt sind, drohen dann zur Durchlöcherung zu werden. Die Öffnung wird dominant, die schützende Mauer scheint gefährdet.

Vor allem sind Pokornys Häuser nicht „festgemauert in der Erden“, sie sind stets der Veränderung, auch dem Verfall ausgesetzt. Wenn er mit Stahl arbeitet, benutzt er bewusst rostenden Cortenstahl und verweist so auf den Zahn der Zeit, der an der Solidität nagt. Holz schwärzt er gelegentlich mit Feuer – dem Erzfeind der Behausung schlechthin. So dringen gewaltsame Kräfte auf das aus Naturmaterialien bestehende Haus ein, zugleich drängt sich der Eindruck von Archaik auf, von Zeitlosigkeit, von Geschichte.

In den letzten Jahren fand Pokorny zu einem anderen Motiv der Bedrohung. Er lässt hölzerne Wellen durch die Hausform dringen, und die sonst bei ihm so unerschütterlich aus Quadrat und Dreieck bestehende Hausform wird unruhig, die klaren Winkel geraten aus dem Lot.

„Fenster, 2017“, 2017 © Werner Pokorny /VG Bild-Kunst, Bonn

So ist das Haus in der Hand dieses Bildhauers vor allem Ausgangspunkt – für existentielle Gedankenspiele und für spielerische Fantasie. Da werden Häuser in gewundene Metallstrukturen eingebunden, auf den Kopf gestellt, sie werden in eine Spirale gesteckt – oder schälen sich aus einer Spirale heraus, bei Pokorny muss man stets in unterschiedliche Richtungen denken. So eindeutig seine Plastiken als Grundformen des Hauses zu erkennen sind, so sind sie doch zugleich auch ungegenständlich. Es reicht ein Schritt zur Seite und aus dem Haus wird ein abstraktes Gebilde, das dann wieder unversehens zum Haus mutiert. Abstraktion und Gegenständlichkeit treffen sich hier in ein und demselben Werk, ein Widerspruch in sich.

Widersprüche kennzeichnen alles, was dieser Bildhauer kreiert. So schlicht seine Grundform auch sein mag, gerade die Einfachheit ermöglicht ein Denken in Ambivalenzen. So verbindet man mit dem Haus Aspekte wie Sicherheit, Solidität, Unverrückbarkeit. Die Hausskulpturen von Pokorny aber scheinen ständig in Bewegung zu sein, nicht nur, weil er diese Formen oft in einen Kreis spannt, in ein Rad – Inbegriff der Bewegung. Häuser finden sich auch in Spiralen, die eine endlose Bewegung andeuten.

Auch die Perspektiven sind bei Pokorny ständig in Bewegung. Man meint, in einem solchen Haus zu sein, blickt aber zugleich von außen auf die Bauform.

„Spiel“, 2013 © Werner Pokorny /VG Bild-Kunst, Bonn

So groß Pokornys Skulpturen zumal im Außenraum auch sein mögen, sie wirken nicht gigantisch monumental. Weil er seine Plastiken gern additiv aus mehreren Teilen, meist Häusern, zusammensetzt, wirken sie, als hätten sich hier Riesen ein Spielzeug gebastelt, mit dem sie Hausbauen spielen. Und der Aspekt des Spiels, der spielerischen Experimentierens mit einfachen Formen, liegt denn auch seinem ganzen Schaffen zugrunde.

So erweist sich das Haus, zumal wenn man es in einer größeren Ausstellung in den unterschiedlichsten Gestaltungen präsentiert bekommt, als Material für den Spieler. Was ein Kind aus Bauklötzchen macht, führt Pokorny mit einer nicht enden wollenden Fantasie weiter. Da schichtete er einmal mehrere Häuser übereinander und erhielt einen Turm: Die Häuser sind exakt kreuz und quer übereinandergestapelt und erwecken den Eindruck ordentlicher Solidität, auch wenn das Gebilde streng genommen äußerst fragil wirken müsste. Ein anderes Mal baute er einen Haufen aus lauter kleinen Häuschen – das ist Chaos pur und heißt denn auch bezeichnenderweise Babel, bei dem die Sicherheit des Gebäudes bereits wieder in ihr Gegenteil umschlägt und man als Betrachter befürchtet, das fragile Gebilde werde jeden Augenblick einstürzen.

Pokorny kehrt Verhältnisse um: Ist üblicherweise das Fenster Teil des Hauses, so wird es bei ihm zum Rahmen für ein Haus – das Teil wird zum Ganzen, das Ganze zum Bestandteil – so wie bereits 1982 unter seinen Händen aus einem Stamm das Haus emporwuchs. „Gehet hin und lernet, mit so einfachen Mitteln so Großes hervorzubringen“ meinte Beethoven einmal über Georg Friedrich Händel – es scheint, Pokorny habe diesen Satz zum Prinzip seines Schaffens gemacht.

Werner Pokorny“. Kunstverein Zehntscheuer, Rottenburg, bis 18.3.2018

Ein Gedanke zu „Das Haus als Maß aller Dinge – der Bildhauer Werner Pokorny

  1. Werner Pokorny

    Lieber Herr Zerbst,

    ganz herzlichen Dank für Ihren – meiner Arbeit sehr gewogenen – Text !!!
    Ich würde mich sehr freien, Sie bei Gelegenheit mal bei mir in Ettlingen begrüßen zu dürfen und ein bisschen mehr Zeit als bei der Eröffnung in Stuttgart verbringen zu können.

    Seien Sie herzlich gegrüßt

    Werner Pokorny

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