Archiv der Kategorie: Musik

Vom 19. Jahrhundert in die Gegenwart: Schuberts „Winterreise“ von Hans Zender an der Oper Stuttgart

Von Beethoven einmal abgesehen hat kaum ein Komponist des frühen 19. Jahrhunderts die Komponisten des 20. derart aufgewühlt und angesprochen wie Franz Schubert. Bei Gustav Mahler hat man gelegentlich den Eindruck, er habe sich bei Schubert bedient und führe ihn in seine Gegenwart weiter. 1990 füllte Luciano Berio drei sinfonische Fragmente Schuberts mit Klängen aus seiner Feder auf, und drei Jahre danach ersetzte Hans Zender in Schuberts Winterreise den Klavierpart durch eine Orchesterversion, die derart theatralisch ist, dass sie gleich mehrere Choreographen zu Balletten anregte. Jetzt hat die Staatsoper Stuttgart das Werk szenisch auf die Bühne gebracht.

Matthias Klink, Mitglieder des Staatsorchesters Stuttgart. Foto: Matthias Baus

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Eine Welt der Opfer – Mussorgskis Boris Godunow an der Oper Stuttgart

Bei Modest Mussorgskis Boris Godunow könnte man von einer Geschichte des Misstrauens der Oper gegenüber sprechen. Schon der Komponist ergänzte seine ursprüngliche Version durch einen ganzen Akt, vielleicht, weil er meinte, eine Oper ohne große Sopranpartie sei wenig theatertauglich. Später meinte Kollege Rimski-Korsakow die Partitur „verbessern“ zu müssen, was dann Dmitri Schostakowitsch noch einmal auf den Plan rief. Inzwischen scheint sich der „Ur-Boris“ wieder durchzusetzen mit seiner Konzentration auf die Titelfigur und das Volk, so auch jetzt an der Oper Stuttgart, die allerdings Sergej Newski beauftragte, einen Kommentar zu Mussorgski zu komponieren.

Staatsopernchor Stuttgart und Kinderchor der Staatsoper Stuttgart. Foto: Matthias Baus

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Die Offenbarung in der Musik: Le Nozze di Figaro an der Oper Stuttgart

Da sei schon die Revolution am Werk gewesen, meinte Napoleon, bereits im Exil auf St. Helena, über die Komödie Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit von Beaumarchais, schließlich erheben sich darin die Untergebenen eines Adligen gegen dessen Wunsch, ererbte Privilegien durchzusetzen. Wohl kaum ein anderer Komponist als Mozart hätte es gewagt, diese Komödie kurz nach ihrer Uraufführung zu einer Oper zu machen, zumal Beaumarchais‘ Stück in Wien nicht aufgeführt werden durfte. Librettist Lorenzo Da Ponte entschärfte zwar die Brisanz, aber Mozart brachte sie allein durch seine Musik wieder hinein, so der Komponist Hanns Eisler im 20. Jahrhundert. Eine Neuproduktion an der Stuttgarter Oper demonstriert das hinlänglich.

Esther Dierkes (Susanna) und Michael Nagl (Figaro), im Hintergrund: Sarah-Jane Brandon (Gräfin). Foto: Martin Sigmund

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Vom Inhalt beim Tanz. Creations I-III beim Stuttgarter Ballett

Die Keimzelle zu einer neuen Choreographie kann alles sein: eine Zeile in der Zeitung, eine kleine Begebenheit auf der Straße, ein kurzes Musikstück, vielleicht nur ein Klang. Doch welche Funktion haben solche auslösenden Elemente für das vollendete Stück? Sind sie nur Reminiszenz für den Choreographen, oder sind sind sie von zentraler Bedeutung für das Verständnis beim Zuschauer? Drei neue Choreographien am Stuttgarter Ballett entpuppen sich als höchst unterschiedliche Fallstudien zu diesem Thema: Creations I-III.

Elisa Badenes © Stuttgarter Ballett

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Das Problem mit dem Alter: Neues Publikum für alte Musik?

Die Haarfarbe bei klassischen Musikveranstaltungen ist weitgehend grau bis weiß, sofern sich überhaupt noch Haare auf den Häuptern beflnden. 2007 war mehr als die Hälfte der Besucher von Klassikkonzerten über sechzig, nur acht Prozent unter dreißig, und der Trend dürfte sich in den letzten zehn Jahren noch verschärft haben. 1980 lag der Altersdurchschnitt noch bei vierzigJahren. Das Publikum der Klassik stirbt aus – Grund genug für dieVeranstalter, sich neue Formen auszudenken, um alternativePublikumsgruppen für die Klassik zu interessieren.

Staatsorchester Stuttgart © Sebastian Klein

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Von der Aktualität der Kunst: Calixto Bieito inszeniert in Stuttgart Ödön von Horváths Italienische Nacht

Dramen auch lange nach ihrer Entstehung aktuelle Bezüge zu entlocken, ist vornehme Aufgabe der Regisseure, der diese seit einiger Zeit freilich oft recht subjektiv nachkommen bis hin zur Unkenntlichkeit der Stücke. Dass ein Drama aber Jahrzehnte nach seiner Entstehung wieder aktuell ist, dürfte die Ausnahme sein. Ödön von Horváths Italienische Nacht zählt dazu, zeigt es doch anhand eines von Sozialisten veranstalteten gemütlichen Abends die aufziehende Gefahr von Rechts. Das Stück wurde 1931 uraufgeführt, jetzt hat es Calixto Bieito für das Schauspiel Stuttgart inszeniert.

Michael Stiller (Betz), Christiane Roßbach (Adele), Elmar Roloff (Stadtrat), Felix Strobel (Engelbert), Boris Burgstaller (Kranz). Foto: David Baltzer

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Rasante Farce mit Tiefgang: Rossinis Cenerentola an der Staatsoper Stuttgart

Rucke di guh, Blut ist im Schuh, dieser Satz kommt in Erinnerung, wenn es um das Märchen vom Aschenputtel geht, jenem Mädchen, das von der Stiefmutter als Dienerin gehalten wird, derweil sich die Stiefschwestern den heiratswilligen Prinzen angeln sollen. Er will seine Auserwählte – eben jenes Aschenputtel, das durch Zauberhilfe in prächtigstem Kleid auf den fürstlichen Ball gelangt – an einem ihrer Schuhe erkennen, und die Schwestern hacken sich eine Zeh ab, damit ihr Fuß in den Schuh passt. Dergleichen gibt es in der Oper, die Gioachino Rossini 1817 komponierte, nicht. Bei ihm geht es rationaler zu. Für die Staatsoper Stuttgart hat Andrea Moses inszeniert.

Enzo Capuano (Don Magnifico), Mitglieder des Staatsopernchors Stuttgart. Foto: A.T. Schaefer

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Die Welt als Computertraum: Prokofjews Die Liebe zu drei Orangen an der Staatsoper Stuttgart

Soll das Theater das Leben widerspiegeln oder soll es eine Sphäre sein, die dem realen Leben enthoben ist – so lautete die Streitfrage für die russischen Bühnen um 1900. Auf der einen Seite plädierte Konstantin Stanislawski für einen Psychorealismus und eine möglichst lückenlose Identifizierung des Schauspielers mit seiner Rolle, auf der anderen Seite sah sein Schüler Wsewolod Meyerhold im Theater eine Kunstwirklichkeit aus den Elementen Maske, Geste, Bewegung und Intrige. Daher war es kein Wunder, dass er für die Bühne ein Märchenspiel von Carlo Gozzi neu bearbeitete, jenem venezianischen Dramatiker, der für ein Theater der Fantasie und Märchenhaftigkeit eintrat: Die Liebe zu den drei Orangen. Sergej Prokofjew machte daraus eine Oper und griff in seiner Musik alle theoretischen Positionen Meyerholds auf. Für die Staatsoper Stuttgart hat der Filmregisseur Axel Ranisch diese „Blüte des artistischen Wesens“ (Opernkritiker Oscar Bie 1927) in moderner Ästhetik inszeniert, die in neuer Übersetzung einen Artikel verloren hat: Die Liebe zu drei Orangen.

Carole Wilson (Fata Morgana), Michael Ebbecke (Celio), Mitglieder des Staatsopernchores und der Statisterie der Staatsoper Stuttgart. Foto: Matthias Baus

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Oper im Ausnahmezustand: Die Oper Stuttgart mit „Herzog Blaubarts Burg“ im Paketpostamt

Die Suche nach einer Interimsspielstätte für die dringend sanierungsbedürftige Oper Stuttgart gleicht inzwischen einem Schwabenstreich. Als Viktor Schoner zum neuen Intendanten gewählt wurde, ging man davon aus, dass er, der als Künstlerischer Betriebsdirektor an der Bayerischen Staatsoper auch große Erfahrungen im organisatorischen Bereich hat, die Oper in Stuttgart ins Übergangsdomizil führen, dort erfolgreich leiten und vielleicht sogar wieder ins Stammhaus zurückführen werde. Damals war unter anderem an den Umbau des ehemaligen Paketpostamts in Stuttgart gedacht, und so plante Schoner für seine erste Spielzeit gewissermaßen symbolisch den Umzug mit einer „Probeproduktion“. Inzwischen ist das Postamt vom Tisch und Schoner wird während seiner Vertragszeit wohl auch kaum die Oper in irgendeine andere Interimsstätte führen können, die Politik dürfte in der Planung derzeit auf dem Stand von vor einigen Jahre sein. Die „Probeinszenierung“ aber fand statt.

Herzog Blaubart: Falk Struckmann, Judith: Claudia Mahnke. Foto: Matthias Baus

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Gralsritter ohne Gral. Árpád Schilling inszeniert Lohengrin an der Oper Stuttgart

Als der fast schon legendäre Wagnertenor Leo Slezak den Lohengrin sang, soll er dem Schwan, der soeben seinen Nachen nach Brabant gezogen hatte, nachgerufen haben: „Wann kommt der nächste Schwan?“ War das noch ungebrochenes Vertrauen in die von Wagner szenisch manchmal aberwitzig märchenhaft vorgeschriebene Bühnenwelt, in der der Schwan ebenso selbstverständlich auf der Bühne erscheint wie Lohengrin als Leuchtgestalt vom fernen Gral? Oder deutete sich hier bereits eine leise Distanzierung von dieser Vorstellungswelt an? Heute jedenfalls gibt diese Oper den Regisseuren einiges zu bewältigen. Für den Ungarn Árpád Schilling, der Lohengrin jetzt für die Oper Stuttgart inszeniert hat, war der Vogel nicht das einzige, was er einer strengen Überprüfung unterziehen musste.

Michael König (Lohengrin), Simone Schneider (Elsa), Staatsopernchor. Foto: Matthias Baus

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