2005 durfte Daniel Knorr bei der Biennale in Venedig den Pavillon seiner rumänischen Heimat gestalten und ließ ihn – leer. Lediglich ein Buch über die Europäische Union befand sich im Raum nebst Resten vorangegangener Ausstellungen. Damit sorgte er für Unmut, aber auch für Reflexion, wollte er damit doch unter anderem auf die benachteiligte Situation Rumäniens in Europa und auf dem Kunstmarkt hinweisen – Konzeptkunst pur, eine Kunstströmung, bei der die Gestaltung eines Werks weniger wichtig ist als die dahinter stehende Idee. Nicht immer bei Daniel Knorr, wie jetzt eine Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen zeigt.
Was ist ein Gemälde? Streng genommen ein Farbgeschehen, zu dessen Zweck man Farbe auf einen Trägerstoff aufbringt, meist auf Leinwand. Dieser Malgrund – er könnte auch Holz oder Pappe sein – ist technisch nötig, aber für das Bild letztlich verzichtbar. Also löste Daniel Knorr in einem raffinierten technischen Verfahren seine Farbschicht von der Leinwand und stellt sie pur aus. Das ist reine Malerei und lenkt den Betrachter in Gedanken auf das Wesen dieser Kunst, auf die Funktion von Farbe, auf die Frage nach dem Notwendigen und dem Essentiellen. Und er zeigt mit einem kleinen Augenzwinkern, dass die Leinwand doch nicht ganz ohne Auswirkung auf die Malerei bleibt, denn die Struktur des Gewebes ist der Farbschicht manchmal noch eingeprägt. Und weil er die Farbflächen noch kunstvoll verformt hat, stellt er gleich auch noch die Frage nach der Notwendigkeit der Zweidimensionalität der Bilder.
Das ist reine Konzeptkunst: Das Gedankliche stand vor der Ausbildung des Werks und ist auch das Eigentliche, und doch ist diese Konzeptkunst sehr sinnlich – und zugleich ein kleines Kunstquiz, denn Knorr hat sich bei seinen Bemalungen von Größen der Kunstgeschichte inspirieren lassen wie Paul Klee oder Mark Rothko.
Der Gedanke steht stets am Anfang eines Werks bzw. einer Aktion bei diesem Künstler. So ließ er 2017 bei der documenta in Kassel aus einem alten Turm weißen Rauch aufsteigen, was zu einem Telefonansturm bei der Feuerwehr führte. Assoziationen dazu konnten vielfältig sein – vom Signal für das „Habemus papam“ in Rom beim Konklave bis zum Qualm bei der Bücherverbrennung durch die Nazis. Knorr lässt seine Assoziationen nicht selten offen, der Betrachter kann sich seinen eigenen Reflexionen hingeben. In diesem Fall beließ er es aber nicht beim Rauchgeschehen. Er sammelte Fotos, die Passanten von seiner Aktion geschossen und ins Netz gestellt hatten, und zeigt diese jetzt in einer Fotoserie. Damit werden die Pole Kunstproduktion und Kunstrezeption, die eigentlich strikt voneinander getrennt sind, zur Einheit, sie fallen zusammen, denn der Produzent der Aktion in Kassel, Knorr, stellt die Produkte der Rezipienten, die Fotos, wieder als Kunst aus.
Diese Tiefe und Vielschichtigkeit haben nicht alle Arbeiten. Auf der Art Basel ließ er aus Leinwandbahnen gebastelte autoähnliche Gebilde durch eine Waschstraße fahren, in der allerdings nicht Wasser zur Reinigung der Autos aus den Düsen spritzte, sondern Farbe. Das kann man als ironischen Kommentar zur Automanie so mancher Bürger sehen, doch haben die Leinwandautos nur bedingt Ähnlichkeit mit Autokarosserien und rechtfertigen Bezeichnungen wie „Lamborghini“, so der Titel einer Arbeit, nicht. Hier klaffen Konzept und Realität doch allzu sehr auseinander.
Auch eine Arbeit, zu der ihn eine Kunststoffrecyclingfabrik in Hongkong angeregt hat, überzeugt gedanklich nicht unbedingt. Knorr hat den Recyclingprozess dort unterbrochen und auf diese Weise lange Kunststoffschnüre produziert, die er dann bunt einfärben ließ. Sie ringeln sich zu fantasievollen, an bunte Perücken erinnernde Gebilde, die er in Schaufenstern in Hongkong ausstellen ließ. Ob man darin eine „visuelle Unterbrechung der Konsumlandschaft“ sehen muss, wie der Katalog nahelegt, eine „visuelle Verständigungsplattform unter den Besucher*innen der Mall“, sei dahingestellt. Optisch allerdings ist es, wie fast immer bei Knorr, eine Sensation.
Tiefschürfender dagegen sind seine Depression Elevations. Schon der Titel regt zum Nachdenken an, vereint er doch gegensätzliche Bilder: Vertiefung und Erhebung, und beschreibt damit genau, woraus diese Arbeiten bestehen, die Knorr über Jahre hinweg angefertigt hat. Es sind Abgüsse von Straßenschlaglöchern. Was für den Autofahrer aber ein Ärgernis ist, wird für den Ausstellungsbesucher zum Genuss. Knorr hat in einem aufwändigen Verfahren diese Straßenlöcher in Kunstharz ausgegossen, das er fantasievoll einfärben ließ. Mal bezeichnet der Titel dann den genauen Ort, an dem sich diese Schlaglöcher befanden, mal Assoziationen, die der Künstler vor dem fertigen Objekt hatte. Das ruft Fragen nach der Unvollkommenheit der Welt hervor, auch nach deren Ursachen wie etwa Niedergang der Wirtschaft (denn die Schlaglöcher sind oft groß und tief und bestehen seit geraumer Zeit), und da erhält der Begriff „Depression“ im Titel eine ökonomische Dimension. Man kann sich aber auch Gedanken über Phänomene wie Oberfläche und Hintergründe machen, denn die Oberflächen dieser farbigen Objekte sind so glatt, wie der Autofahrer sich den Asphalt der Straße wünscht, doch schaut man hinter diese Objekte, sieht man das eigentliche Wesen dieser Schlaglöcher. Zugleich zeigen diese Arbeiten, dass man aus Beschädigungen offenbar immer auch etwas Schönes machen kann. Zudem spielt Knorr mit dem Phänomen des Reliefs, denn ein Relief ragt von einer glatten Rückseite nach vorn in den Raum, Knorrs Arbeiten aber präsentieren dem Auge die glatte Rückseite, das eigentliche Relief sieht man nur, wenn man die Arbeit von der Seite betrachtet.
Das sind grundlegende Fragen über die Welt und ihre Bewohner, Konzeptkunst eben. Knorr aber macht deutlich, dass Konzepte nicht nur graue Theorie sein müssen, sondern auch sehr ansehnlich sein können.
„Daniel Knorr. We make it happen“, Kunsthalle Tübingen bis 20.9.2020. Katalog 360 Seiten