Schon das 19. Jahrhundert bewies die Neigung, sich von der traditionellen Akademiemalerei abzukehren. Nicht im Atelier entstanden nun die Bilder, strengen Malgesetzen folgend, sondern im Freien nach den Gesetzen dessen, was sich da dem Auge bot. Im 20. Jahrhundert setzte sich das als radikale Ablehnung des Akademismus fort – bei den Expressionisten beispielsweise -, und in der Entdeckung von Malern, die keine Akademie von innen gesehen hatten wie etwa Henri Rousseau. Ihre „naive“ Malerei hatten sie sich selbst beigebracht, und sie hatte für die Großen der akademisch ausgebildeten Küntsler den Reiz des Naturhaften und Unbekümmerten. Picasso entdeckte Rousseau, Kandinsky nahm ihn in seinen Almanach der Moderne Der Blaue Reiter auf. In der Nähe von Haigerloch arbeitet seiet einem halben Jahrhundert Karl Hurm in dieser Tradition, die keine ist. Jetzt hat er dem Kunstmuseum Albstadt vierzig seiner Bilder von er schwäbischen Alb vermacht.
Der Lochgräber, 1982 © Karl Hurm
Es ist alles da, was man von der Alb so kennt: Wogende Wiesen, durchbrochen von kleinen Waldstücken und leichten Hügeln. Und warum sollen sich da nicht auch ein paar Menschen tummeln. Karl Hurm hat eine Albszene gemalt – und es ist zugleich eine typische „Hurmszene“, denn auf den ersten Blick wirkt alles normal, doch auf den zweiten Blick fängt man an, sich Fragen zu stellen. Warum gräbt da der Mann ein Loch? Die erste Antwort ist schnell gegeben: Warum soll er nicht? Die zweite könnte lauten: Er folgt dem Gebot des Bildtitels: Der Lochgräber. Hurms Bilder folgen einer strengen Logik. So ist es nur folgerichtig, dass der Mann seine Baustelle sorgfältig mit einem Zaun gesichert hat, schließlich könnten ja andere hineinfallen, die beiden Frauen beispielsweise. Sie aber scheint das seltsame Treiben des Mannes gar nicht zu interessieren, sie tratschen.
Der Brunnen in der Wiese, 1976 © Karl Hurm
Hurms Bilder erzählen Geschichten, die es geben könnte, und die doch irgendwie aus einer fremden Welt zu stammen scheinen. So findet sich auf einem Bild ein Brunnen in der Wiese. Es ist kein Gartenrasen, sondern eine Wiese auf der Alb. Ein Mann bedient den Pumpenschwengel fachkundig. Ein Wasserstrahl schießt aus dem Rohr – und die Frau wäscht sich im Becken ihren Fuß. Alles ganz natürlich klar und einsichtig – und doch rätselhaft zugleich. Dazu trägt auch die Malweise dieser Bilder bei. Hurm schichtet Ebene um Ebene übereinander, meist in sehr unterschiedlichem Pinselduktus. Am oberen Rand der Himmel, glatt auf die Hartfaserplatten, die er bevorzugt, aufgetragen. Ein paar weiße Flächen schweben als Wolken darin umher. Darunter ein Berghügel mit einem darin aufragenden Waldstück: Hier arbeitete Hurm mit kleinen Elementen – Punkten, einem Gewirr von kürzesten Strichen. Darunter dann die Wiese. Sie wird angedeutet durch eine Vielzahl von Pinseltupfern, mit denen Grasbüschel angedeutet sind. Das Ganze muss kurz vor Sonnenuntergang stattfinden, denn die Wiese ist leuchtend dunkel.
Hurms Bilder sind ein Anreiz für die Phantasie des Betrachters. Was macht die Haltestelle dort in der freien Natur? Ein Bus dürfte da nie vorbeikommen, eine vernünftige Straße führt nicht hin, nur ein Weg.
Reiter in Steinbruch, 1983 © Karl Hurm
Was machen die seltsamen schemenhaften weißen Pferde, die durch einen Steinbruch eilen – in buchstäblich gestrecktem Galopp. Diese Bilder sind keine Landschaftsdarstellungen, es sind Traumszenen von der Nachbarschaft eines Malers.
Hurms Bilder wirken phantastisch gerade durch die Kombination unterschiedlicher Malstrukturen und die Erfindung seltsamer Szenensujets. Und doch sind sie nicht reine Phantasieprodukte, wie ein Bild beweist, das man am ehesten in den reinen Bereich der Kopfgeburten verweisen möchte. Es sind Schafe, die sich in einen Tunnel verirrt haben. Hier hat Hurm lediglich die Realität – vermittelt durch einen Zeitungsbericht vor einigen Jahren – zur Bildwelt werden lassen. Hurms Albsichten fußen in der Wirklichkeit, wie er sie täglich sah und sieht, einer Wirklichkeit, die er sich verinnerlicht hat. Aus dieser verinnerlichten Welt kreiert er dann seine eigenen neuen Bildwelten. Sein Auge stand am Anfang, am Ende ist es das Auge des Betrachters, das zu sehen hat – und das Gesehene dann in seinem Inneren weiterverfolgt, ganz wie der Maler auch. Hurms Bilder wecken im Betrachter dessen Kreativität. Am Anfang stand eine Geschichte, ausgelöst durch Elemente des täglichen Lebens, am Ende sollte wieder eine stehen, hervorgerufen durch Bilder von dieser Realität.
Karl Hurms phantastische Alb-Sichten.“ Kunstmuseum Albstadt bis 9.9.2018. Katalog 64 Seiten 20 Euro