Reglos sind sie, „statuarisch“, und stumm – das gilt jedenfalls für den Großteil aller Statuen seit der Antike. Im 20. Jahrhundert hat die Plastik oder Skulptur sich zwar verändert, sie wurde weniger sich selbst genügend, der Umraum der Arbeit ging in die Gestaltung ein, doch grundlegend hat sich am Charakter des stummen Starren wenig geändert. Grundsätzlich gilt das auch für die Arbeiten der 2006 verstorbenen Bildhauerin Gerlinde Beck, und doch hat sie im Laufe ihres Schaffens eine ganz eigene Form der Plastik kreiert. Die Städtische Galerie Böblingen zeigt jetzt einen Überblick über diese Entwicklung.
Skulptur in Röhrenlandschaft, 1972 © VG Bild-Kunst Bonn 2016
Geheimnisvolle Töne durchzogen den Galerieraum bei der Ausstellungseröffnung, man konnte sich in ein japanisches Kloster versetzt fühlen, wo große Gongs für meditative Stimmung sorgen. Doch der Schlagzeuger Albrecht Volz mit seinen Musikern lieferte mit seiner Musikperformance nicht ein bei Vernissagen übliches musikalisches Begleitprogramm, vielmehr führte er mit den Klängen unmittelbar in das Werk von Gerlinde Beck ein. Die Gebilde, die er mit seinen Stöcken und Schlegeln und auch mit der Hand zum Klingen brachte, waren keine Musikinstrumente, sondern Plastiken von Gerlinde Beck. 1973 wurde bei einer Ausstellungseröffnung in Heilbronn die klangliche Dimension ihrer Arbeiten erstmals öffentlich demonstriert – und dieses Erlebnis führte in Gerlinde Becks Schaffen zu einer völlig neuen Dimension. Sie erarbeitete in der Folge eine „Klangstraße“, für die sogar ein Karlheinz Stockhausen komponierte.
Dennoch ist diese Klangstraße nicht ein Musikinstrument, vielmehr setzt sie sich aus unterschiedlichen Metallskulpturen zusammen, die Gerlinde Beck in diesen Jahren entwickelte. Es sind technoid wirkende Gebilde aus glänzendem Stahl, zusammengesetzt aus geometrischen Grundformen wie Kegeln oder Zylindern. Sie muten ein wenig wie Roboter an, wie Maschinenwesen – und damit verweisen sie zugleich auch auf den menschlichen Körper.
Der Mensch war von Anfang an impulsgebend für Becks plastische Arbeiten, auch wenn sie nie auch nur entfernt eine realistische Körpergestaltung angestrebt hat. Immer arbeitete sie abstrakt. So begann sie in den 50er Jahren damit, gerundete, dreieckige Metallplatten übereinander zu schichten.
Geneigte Stele, Entwurf 1967; 1979/80 © VG Bild-Kunst Bonn 2016
Das Resultat hatte, oberflächlich betrachtet, nichts mit der menschlichen Figur zu tun, es waren Stelen, denen jegliche Statuarik fehlte. Durch die zahlreichen geschichteten Metallplatten eignete diesen Arbeiten eine ungewöhnliche Transparenz, durch das hoch Aufragende ihrer Grundform ein fragiles Gleichgewicht. Das zusammen genommen erinnerte jedoch vage an eine tanzende Figur, möglicherweise eine Pirouetten drehende Eisläuferin. Dieser Fragilität in der Balance galt lange Zeit Becks Hauptaugenmerk. In den 60er Jahren baute sie hoch aufragende Stelen aus einzelnen Metallkuben, die nicht fest auf den Grundflächen miteinander verbunden, sondern nur an einigen wenigen kleinen Punkten miteinander verschweißt waren. So meint man, mit den Händen stützend eingreifen zu müssen, um diese Gebilde vor dem Umfallen zu bewahren, zumal in der Regel das oberste Teil, gewissermaßen der „Kopf“, das größte Element der Arbeit war, was auch in den nachfolgenden Jahrzehnten Grundzug ihrer Arbeit blieb.
Durch diese fragile Balance scheinen diese Arbeiten in Bewegung zu sein – ein zweiter Aspekt, der ihr Schaffen von Anfang an prägte. Fasziniert von der Ausdruckstänzerin Dore Hoyer wollte Gerlinde Beck ursprünglich Tänzerin werden, was sich aus Konstitutionsgründen nicht realisieren ließ, und so lebte sie ihre Faszination gewissermaßen im Bereich der Metallskulptur aus. Sie widmete ihrem großen Inspirationsvorbild mehrere plastische Denkmäler, in denen sie vor allem das Moment der Drehung in die ansonsten statische Form einbrachte – durch Metallstäbe, die sich kreisförmig um die zentrale Achse legten; Dore Hoyer war berühmt für ihre minutenlangen Drehbewegungen.
Huldigung an Oskar Schlemmer, 1987 © VG Bild-Kunst Bonn 2016
Neben Dore Hoyer wurde an der Stuttgarter Akademie in den 50er Jahren neben Willi Baumeister auch Oskar Schlemmer die große Inspiration (posthum natürlich nur, er starb 1943). Seine Figurinen für sein Triadisches Ballett könnten sie zu den späteren technoiden Figuren angeregt haben.
Bis eben auch noch zum Eindruck der Bewegung – denn natürlich bleibt dieser Aspekt reiner Eindruck im Auge des Betrachters, Gerlinde Beck schuf keine kinetischen Plastiken – die akustische Dimension hinzutrat. „Raumchoreographien“ nannte sie diese Arbeiten.
„Raumchoreographien“ heißt auch eine DVD, die die Gerlinde Beck Stiftung zusammen mit dem Karlsruher Ballett realisierte. Hier dienen die Elemente der Klangstraße als Inspiration für Tänzer – die Bewegung, die Gerlinde Beck in ihre Plastiken hatte einfließen lassen, geht hier gewissermaßen wieder in reine tänzerische Bewegung über: Ein Kreis hat sich geschlossen.
„Gerlinde Beck. Skulpturale Raumchoreographien“, Städtische Galerie Böblingen bis 5. 2.2017. DVD „Raumchoreographien“ der Gerlinde-Beck-Stiftung Euro 12., Katalog hg. MuseumArt.Plus 12.50 Euro