Ein Tisch mit Obst und einer Vase mit Blumen, perfekt realistisch gemalt – mit ihren Stillleben stellten die Künstler im 16. und 17. Jahrhundert ihre stupende technische Präzision mit Pinsel und Farbe unter Beweis. Täuschend echt sind die Äpfel gemalt, deutlich erkennbar die unterschiedlichen Blumenarten: ein Fest der Sinne und ein Loblied auf die Schönheit der Natur. Oft aber ist zugleich auch ein erhobener Zeigefinger mit im Spiel: Ein toter Fasan verweist auf das Ende des Lebens, ein Stillleben ist oft auch ein Memento Mori – und zugleich eine Aufforderung, das Leben zu genießen, ein Carpe Diem. Eine Ausstellung im Dominikanermuseum in Rottweil zeigt, dass dieses alte Genre auch im Zeitalter der perfekten Fotografie noch relevant ist.
Archiv des Autors: Dr. Rainer Zerbst
Ein Museum der Forschung – das MUT in Tübingen
Das Museum einer Stadt erfasst die Geschichte einer Kommune – anhand bedeutender Persönlichkeiten, wichtiger Ereignisse, bedeutender Daten. Wie aber erfasst man die Geschichte einer Universität? Ist es eine Abfolge bedeutender Wissenschaftler, die es zu porträtieren gilt, ist es die Funktion im Geistesleben des Landes, der Stadt? In Tübingen wird der Versuch unternommen, museal das zu erfassen, was eine Universität eigentlich ausmacht: die Forschung selbst.
Die Kunst des Schattens – Rembrandt und seine Folgen in England
Kaum eine Technik ermöglicht derart dünne Linien wie die Radierung, doch wenn der Graphiker mit seiner dünnen Nadel Flächen gestalten will, stößt er bald an die Grenzen dieses Mediums, denn nur mit Tricks vermag er den Eindruck einer schwarzen Fläche zu erzielen, durch dichte Schraffuren dünner Linien. Das änderte sich erst, als Ludwig van Siegen 1642 die sogenannte Schabkunst entwickelte, die Mezzotinto, bei der die Metallplatte zunächst vollständig aufgeraut wird, sodass sich im Druck eine gleichmäßige schwarze Fläche ergibt. Für die helleren Partien wird dann die aufgeraute Platte abgeschabt und poliert. Eine Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart demonstriert, warum diese Technik sehr schnell populär wurde, vor allem in England, wo die Porträtkunst die Malerei beherrschte.
James Watson nach Joshua Reynolds, Sir Jeffery Amherst, 1766. Staatsgalerie Stuttgart
Graphik mit dem Fotoapparat – Albrecht Fendrich und der Rottweiler Testturm
Die Stadt Rottweil kann zwei Superlative für sich beanspruchen: Sie ist die älteste Stadt Baden-Württembergs und besitzt mit dem siebzig Meter hohen Kapellenturm dem Urteil des Kunsthistorikers Georg Dehio zufolge den „schönsten Turm zwischen Prag und Paris“. Nun kommt ein dritter Superlativ hinzu, und der Kapellenturm erhält, zumindest was die Höhe betrifft, Konkurrenz in einem Turm unserer Tage: dem ThyssenKruppTestturm für Aufzüge mit insgesamt 246 Metern Höhe. Die Bauarbeiten während der letzten zwei Jahre hat im Auftrag des Landkreises Rottweil ein Mann mit dem Fotoapparat begleitet, Albrecht Fendrich. Das Resultat ist freilich alles andere als eine Dokumentation eines Turmbaus von heute.
Turm und Stadt bei Nacht
Das Haus als Maß aller Dinge – der Bildhauer Werner Pokorny
Man nehme ein Quadrat und setze darauf ein Dreieck – fertig ist ein Haus, jedenfalls in seiner rudimentären, dafür aber von jedem sofort erkennbaren Form. Seit Jahrzehnten widmet sich der Bildhauer Werner Pokorny diesem Phänomen, und er beschränkt sich auf die Grundform, wie sie von jedem Kind zu Papier gebracht werden kann. Gerade diese Reduktion aber ist die Quelle einer Vielfalt, die er im Lauf der Jahre in Holz und Stahl diesem Motiv abgerungen hat. Eine Ausstellung in der Stuttgarter Galerie Schlichtenmaier zeigt die Verästelungen, die seine Fantasie ausgehend von dieser Grundform entwickelt hat.
Stamm/Haus, 1982 © Werner Pokorny /VG Bild-Kunst, Bonn
Zwischen Alltag und Abstraktion: Der Bildhauer Karl Ulrich Nuss
Strümpfelbach im Remstal könnte auch Nussdorf heißen, denn der hier lebende Bildhauer Karl Ulrich Nuss hat vom Ortskern bis hinauf in die Höhen der Weinberge über vierzig Plastiken aufgestellt – von seinem Vater Fritz Nuss, seinen Enkeln, vor allem aber von sich selbst. Da finden sich Gestalten aus der Mythologie wie die „Daphne“, deren nach oben gereckte Arme zu Baumzweigen mutieren, witzige Figuren wie der „Späher“, der hoch auf einer Säule hockt und ins Remstal blickt, und immer wieder Figuren wie du und ich, ein „Zeitungsleser“ beispielsweise.
Das bisschen Haushalt … „Desperate Housewives?“ in der Städtischen Galerie Villingen-Schwenningen
Man sollte meinen, dass in der Welt der Kunst, die sich ja gerne der Avantgarde verschreibt, gesellschaftliche Entwicklungen früher Einzug halten als im Rest der Gesellschaft – wie etwa der Gedanke der Gleichberechtigung. Doch noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts war an den Akademien für Frauen kein Platz, und noch vor kurzem meinte Georg Baselitz, Frauen könnten nicht malen. Vor Jahrzehnten schon haben Frauen ihre eigene Stellung in der Gesellschaft zum Thema erhoben; so stellte Rosemarie Trockel schon vor dreißig Jahren ihre Werke aus „typisch weiblichen“ Materialien wie Strickwaren her. Eine Ausstellung in der Städtischen Galerie in Schwenningen macht deutlich, dass auch im 21. Jahrhundert das Thema an Relevanz nicht verloren hat. „Desperate Housewives?“
Zwischen Mensch und Kosmos – der Künstler Hans-Werner Stahl
Geheimnisvolles Licht strahlt im Raum. Es scheint aus dem Nichts zu kommen oder aus fernen Welten und gibt dem Betrachter Rätsel auf. Allerdings muss der Raum dunkel sein, der Betrachter sich in einer schwarzen Höhle befinden; bei Tageslicht verschwindet das Phänomen, da steht man vor farbenfrohen Gemälden, wie man sie von einem Maler erwartet: gemalt mit Pinsel und Farbe. Hans-Werner Stahl mischt seiner Farbe Partikel bei, die bei normaler Beleuchtung unsichtbar sind, bei Schwarzlicht aber ihr farbiges Eigenleben entwickeln.
Ein Haus der Stille und der Kunst: Die Gratianus-Stiftung Reutlingen
Mit vollem Namen hieß er Flavius Gratianus und war von 375 bis 383 Kaiser im Westen des römischen Reiches. Er zeichnete sich vor allem durch die Förderung der Künste aus – aber nicht das war der Grund, weshalb die Malerin Gabriele Straub und ihr Mann Hanns-Gerhard Rösch ihre Kunstsammlung unter seinem Namen in eine Stiftung umwandelten. Die Villa, in der sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, befindet sich eben in der Gratianus-Straße in Reutlingen. Die Stiftung entstand kurz nach der Jahrtausendwende – und wer sie besucht, taucht ein in eine Welt der Stille, der Meditation, der Ästhetik.
Raimer Jochims. „Lascaux“. 1989
Philosophie der archaischen Form: Der Bildhauer Jürgen Knubben
Idyllischer kann es kaum mehr sein: Mitten in einem Wäldchen vor den Toren von Rottweil hat sich Jürgen Knubben ein Refugium zugelegt. Vor Jahren hatte er dort ein ehemaliges Militärgelände erworben und als erstes eine riesige Werkhalle errichten lassen, danach ein modern designtes Wohnhaus – und einen Park gestaltet, in dem weitläufig seine Skulpturen verteilt sind, durchweg aus Stahl, durchweg rostig. Das verleiht dem Metall etwas Fragiles, geradezu Lebendiges und ist zugleich symbolisch zu interpretieren – wie alles, was dieser Künstler tut.